Warum ich radikal bin (und denke, mehr sollten es wenigstens ein bisschen sein)

Es gibt Menschen, die bezeichnen meinem Umgang mit Datenschutz als radikal. Genauso oft, wie ich höre, ich habe einen Schaden oder bin paranoid finde ich, fast täglich, Belege, warum das gut so ist.

Beispiel 1: Die Mainzer Polizei, und nicht nur die, wie sich immer mehr zeigt, hat sich die Luca-Daten, die angeblich so gut geschützt sind, geholt, um damit Strafverfolgung zu betreiben. Illegal!

Die zur Kontaktnachverfolgung erhobenen Daten dürfen nach § 28a Abs. 4 des Infektionsschutzgesetzes sowie nach § 1 Abs. 8 der Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz nicht zu anderen Zwecken verwendet werden.

Dies sei mit der entsprechenden Polizeibehörde abgestimmt gewesen und aufgrund einer fehlerhaften Bewertung des Infektionsschutzgesetzes erfolgt.“

tagesschau.de

Also ganz ehrlich: Da werden Gesetze gebrochen und hier wird einfach gesagt, dass man das Gesetz fehlerhaft bewertet hat. Und gut ist es…

Man kann dem Luca-Betreiber keine Vorwürfe machen! Die Polizei hat die Daten nicht von den Servern und mit Hilfe von Culture4Life gezogen. Oder vielleicht doch? Hat Smudo nicht vehement für die App geworden und als total sicher vermarktet? Haben sie nicht allen Kritikern vehement widersprochen? Sei‘s drum.

Tatsache ist: Bei Datenschutz ist diesen Regierungen nicht über den Weg zu trauen.
Wir hätten eine sehr datenschutzfreundliche Corona-Warn-App bauen können, keine gute, wie jetzt, sondern eine richtig gute. Und haben das nicht getan. Luca wurde ohne Ausschreibung gegen alle Berichte von Sicherheitsspezialisten für 20 Mio € Steuergelder angeschafft.

Beispiel 2:
Der EU Datenschützer verwarnt das eigene Parlament, weil dieses Daten an Google und Stripe in den USA schickt.
Interessant, dass er nicht selber auf diese Thematik gestossen ist, sondern von einzelnen Abgeordneten und, wieder mal, noyb, dazu ermutigt werden musste.

…mehr als 150 Anfragen von Drittanbietern verschickte. Darunter waren auch die US-Unternehmen Google und Stripe.“

heise.de

Ergebnis: Das Parlament bekommt einen Verweis und muss nachbessern.

Fazit: Ohne Organisationen wie noyb und einzelnen Abgeordneten wären die Gesetze völlig hinfällig und nutzlos. Die Datenschützer haben wirklich keinen Mehrwert. Denn selbst wenn sie etwas unternehmen, sie haben keine Macht.

Daher versuchen alle, Firmen und Behörden, Ämter erstmal alles, um an die Daten zu kommen. Die Probleme, die in Zukunft dadurch für sie möglicherweise entstehen sind gering. Und die Daten haben sie und müssen diese auch nicht löschen oder die damit gemachten Gewinne „zurückgeben“.
Wenn ich falsch parken kann, ohne das mir dadurch ein spürbarer Schaden entsteht, dann parke ich wann immer es für mich bequem ist, falsch. Es sei denn man ist ein guter Mensch und hat Anstand. Firmen und Behörden gehören nicht dazu.

Beispiel 3:
Auch Europol macht sich einen Namen. Vor 15 Monaten hat der europäische Datenschützer Europol gerügt, dass sie Daten zu lange behalten und zu viele Daten gesammelt haben. Passiert ist nichts.
Erst jetzt, nachdem die Daten milliardenmal durch den Datenfleischwohl gedreht und vermehrt wurden, ausgewertet, kombiniert, etc. müssen die Daten gelöscht werden.
Doch die Fristen, bis dann alles umgesetzt sein muss, sind komfortabel für Europol. 12 Monate. Und dann:

…muss Europol künftig binnen sechs Monaten entscheiden, ob es erhaltene personenbezogene Informationen längerfristig speichern und verwenden darf.“

heise.de

18 Monate um die Daten zu massieren.

Fazit: Auch europäische Polizeibehörden interessieren sich für die Daten von Ihnen. Ohne Rücksicht auf Verluste oder Gesetze.

Beispiel 4:
Da muss man schon mal lächeln, wenn es nicht so daneben wäre. Die Bundesregierung betreibt Fanpages auf Facebook. Doch das geht nicht datenschutzkonform. Überraschung!!! Wie kann das sein?

Der datenschutzkonforme Betrieb einer Facebook-Fanpage sei nicht möglich – also haben Bundesbehörden dort nichts verloren, sagt der Bundesbeauftragte für Datenschutz. Er droht mit Zwangsmaßnahmen.“

spiegel.de

Er droht mit Zwangsmaßnahmen. Zwei Jahre hatte die Regierung Zeit, etwas zu ändern. Sie ist vor Facebook zu Kreuze gekrochen. Passiert ist nichts. Wie immer, wenn es um Datenschutzgesetze geht.
Das grenzt schon an die Geschichten aus Schilda, die ich in der Schule lesen musste.
Der Datenschützer rügt den eigenen Chef. Und dem ist das egal. So muss das in Preussen sein. Ober sticht Unter. Gesetze sind damit irrelevant.

Fazit: Die Regierung interessiert sich nicht für ihren eigenen Datenschutz, ihre eigenen Gesetze, wieso sollten sie sich dann für Sie einsetzen? Der oberste deutsche Datenschützer kann sich nicht durchsetzen. Wie sollen es da die Landesdatenschützer, die für uns verantwortlich sind? Wenn sie überhaupt Interesse haben.

Beispiel 5:
Und das schiesst den Vogel vollends ab. Das Bundesinnenministerium verklagt den Bundesdatenschützer, weil sie deren Vorgaben nicht einhalten wollen.

Das Bundesinnenministerium widersetzt sich einer Weisung des Datenschutzbeauftragten Ulrich Kelber. Weil das Haus von Horst Seehofer Vorgaben zur Datensparsamkeit bei IFG-Anfragen nicht einhalten will, hat es den Beauftragten verklagt.“

netzpolitik.org

Also: Es scheint völlig egal, welche Gesetze es gibt. Die Firmen müssen sich nicht daran halten, denn man kann sie nicht erfolgreich verklagen. U.a. weil die Firmen in Irland sitzen. Die eigene Regierung hält sich nicht an die eigenen Gesetze und missbraucht die Daten für alles mögliche. Europa ist auch nicht besser.

Das ist aus meiner Sicht das Verhalten einer Bananenrepublik. Und es macht mir Angst in einem Land zu leben, dass sich immer mehr vom Rechtsstaat abwendet. In vielen Bereichen.
Daher versuche ich meine Daten so gut zu schützen, wie es geht. Denn der Schindluder, der damit getrieben werden kann, und das ist mehr als nur Werbung, siehe Gefahren, ist unüberschaubar. Ich will die Milliardäre nicht noch reicher machen und den Staat nicht noch mehr über mich wissen lassen, denn ich habe nichts zu verbergen, aber auch nichts preis zu geben. Es geht niemanden etwas an, was ich wie wann wo tue.

Es wird ohne Rücksicht auf Gesetze und den Willen des Nutzers/Bürgers gesammelt und missbraucht was das Zeug hält. Ich habe als Bürger keine Möglichkeiten, das rechtlich oder sonstwie anzufechten. Ich bin diesem Treiben ausgeliefert. Und wer so radikal gegen meine Wünsche und mich schützende Gesetze vorgeht, gegen den muss ich mich ähnlich radikal verteidigen. Gäbe es einen ehrlichen, glaubhaften, offenen, respektvollen Mittelweg, ich wäre dabei. Denn: Die Zeit und das Geld, die ich investiere (n muss), nervt mich zusehends.