It is about data, stupid.
So oder so ähnlich hat sich Billy Boy Clinton vor mehr als 20 Jahren ausgedrückt.
Anstelle frustriert zu sein und alle anzuschreien, sie sollen endlich etwas für ihre Privatsphäre tun und somit die Überwacher, die Quadrillionäre und Staaten in ihre Schranken weisen, schauen wir uns die Fakten an.
Psychologisch macht es keinen Unterschied, ob ich Fakten präsentiere oder jemanden anschreie. Die wenigsten Menschen ändern ihre Meinung. Es gibt zig Studien dazu. Oder haben Sie mal eine Talkshow gesehen, wo jemand gesagt hat: Ach so, das sind neue Fakten für mich. Wenn das so ist, ändere ich meine Meinung? Ich auch nicht. Selbst im privaten Umfeld findet das sehr selten statt.
Aber Fakten zu präsentieren, und die zu kommentieren, gibt mir eher das Gefühl, es „vernünftig“ versucht zu haben. Professionell zu sein. Los geht es.
Schauen wir uns Daten einer Umfrage von Surfshark🇬🇧 an. Dabei sollten Sie wissen, dass diese Firma VPN Dienste anbietet, also nicht unbedingt neutral ist.
Um ein bisschen zu spoilern: Ich war überrascht, auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick dann nicht mehr so. Denn das, was Menschen wollen, und das wofür Menschen dann auch tatsächlich etwas tun, liegt ein Ozean, so gross wie der Pazifik.
Also, wie sagte der Chefredakteur der Zeitung, die sich so gar nicht um Fakten kümmern: Fakten, Fakten, Fakten.
Grundlagenbasis
Die Umfrage wurde in den USA, Australien, Grossbritannien, Kanada und Deutschland durchgeführt. Sie sagen nicht, dass es eine repräsentative Umfrage war. Immerhin. Wer bei Surfshark an einer Umfrage teilnimmt, der will oder hat einen VPN, könnte man denken, und hat ein gewisses Privatsphäre-Bedürfnis.
Daher ist es nicht erstaunlich, dass 90% angeben, dass Online-Privatsphäre für sie wichtig oder teilweise wichtig ist. 32% sagen, die Qualität der Dienste ist ihnen wichtiger als der Datenschutz.
Realitätscheck: Ich kenne persönlich nur sehr wenige Leute, denen Privatsphäre so wichtig ist. Und sicherlich nicht 2/3 sagen, Privatsphäre ist wichtiger als Qualität des Dienstes.
Nicht überraschend dabei: Je jünger die Befragten, desto wichtiger ist der Service. Datenschutz? Näääää!
52% der Befragten gaben an, dass sie verstehen, wie ihre Daten verwendet werden. Das überrascht dann doch. Ich denke, würde man tiefer bohren, wäre sehr schnell Schicht im Schacht. Sie glauben es vielleicht, aber ich denke die wenigstens wissen, was mit ihren Daten geschieht, wie sie aggregiert werden, dass damit ein Riesendreck betrieben wird. Verstehen heisst nicht nur, zu denken, damit wird Werbung erzeugt.
Auf der anderen Seite geben 81% an, das sie mehr über den Datenmissbrauch wissen möchten. Immerhin. Aber wie gesagt, wer bei Surfshark….
Außerdem erwähnten 71% der Befragten, dass sie sich bewusst sind, wie man sich Online sicher bewegt. Das glaube ich ebenso nicht. Ich glaube, das sie das glauben. Und genau hier liegt das Problem: Wir glauben, wir haben Ahnung und wissen was zu tun ist. Haben aber eigentlich keinen Dunst über das, was so alles im Hintergrund abläuft, welche Werkzeuge es gibt. Anders ist die Zahl der Meta-, WhatsApp oder TikTok Benutzer nicht zu erklären. Wie kommt es denn, dass die erfolgreichen Cyberangriffe immer noch so erfolgreich sind? Wieso klicken immer noch so viele auf Links? Verwenden als Passwort „123456“ oder noch besser „passwort“?
Tiefer gefragt
Doch dann bohren sie in der Umfrage tiefer und siehe da: Weniger als die Hälfte der Befragten kennen ihr Recht, vergessen zu werden (also aus den Suchindizes zu verschwinden). Die Jüngeren kennen ihre Rechte eher als die Älteren, was lustig ist, denn sie nutzen sie weniger, siehe oben. Hilft also nichts.
70% geben außerdem an, sich Sorgen um Online-Sicherheit zu machen. 50% sagen, sie fühlen sich im Internet sicher. Es gibt einfach wahnsinnig viele Optimisten. Ich fühle mich nicht sicher. Und nutze es daher weniger und weniger.
Junge Opfer
Einer von Dreien gibt an, Opfer eines Data Breaches geworden zu sein. Zählen Sie in Ihrer Familie mal kurz durch … Und nicht überraschend: Die Betroffenen sind mehrheitlich jüngerer Generation. Vielleicht, weil sie einfach mehr Konten nutzen. Vielleicht, weil Ihnen guter Service über Privatsphäre geht? Dazu sagt die Studie leider nichts.
Laut dieser Umfrage managen 68% der Befragten die Zugriffsrechte der Apps in Smartphones aktiv. Was aktiv heisst, wird nicht genau beschrieben. Vielleicht ja, dass sie aktiv allem zustimmen?
Weiterhin geben 59% an, bei den Cookie-Bannern, ohne die wir in der Steinzeit landen würden, wenn man Springer, Funke etc. glauben darf, wählerisch zu sein.
Realitätscheck: Ich kenne nur sehr sehr wenige Menschen, die selektiv sind. Die meisten klicken einfach alles ja, weil es ihnen egal ist und weil sie genervt davon sind. Und weil die meisten Webseitenbetreiber alles versuchen, damit das passiert. Sie wissen, sie kommen damit durch.
Einsatz von Tools
Doch was diese Umfrage dann tatsächlich aussagt ist viel wichtiger:
Während noch gut 2/3 eine Antivirensoftware verwenden, war es das dann aber auch.
Ad Blocker: 39%!
Password Manager: 36%!
Bleiben wir hier für einen Moment. Wenn nur 36% einen Passwort-Manager verwenden, haben die anderen fast 2/3 entweder wenige Konten, wiedervenwenden viele Passwörter oder sie haben ein fotografisches Gedächtnis. Da wundert es doch, dass nur 1/3 bisher Opfer eines Data Breaches geworden sind, wenn 2/3 keinen Passwort-Manager benutzen.
Meine Erklärung: Das andere Drittel hat keine Ahnung, dass sie ein Opfer geworden sind.
Widersprüche
Nur 18% geben an, einen Browser mit starker Privatsphäre-Unterstützung zu nutzen.
Wie war das oben? 90% ist Privatsphäre teilweise oder sehr wichtig. Und dann verwenden nur 18%, nur 18%, einen vernünftigen Browser. So viel zu dem, was man sagt oder will, und was man dann tut.
Alles andere liegt noch darunter: Suchmaschine mit Schutz? Fehlanzeige.
Verschlüsseltes Mailen? Ebenso.
Bezahlter VPN? Noch weniger.
Es benutzen mehr einen kostenlosen VPN als einen bezahlten? Geiz ist geil. Datenschutz ist Mist. Anders kann man das nicht bezeichnen. Bei kostenlosen VPNs wäre ich sehr sehr vorsichtig und würde mich fragen, womit die ihr Geld verdienen? Oder betreibt Mutter Theresa einen VPN Dienst?
Doch !!!Halt!!!
Deutsche🇩🇪
Da waren doch vier der Five Eyes Länder dabei. Die, die bekannt dafür sind, alles und jeden überall zu überwachen. Gesellschaften, in denen Datenschutz nicht existiert. Schon mal was von NSA und GCHQ gehört? Eben.
Wir Deutschen sind doch anders. Wir haben die klügsten Kinder, seit 20 Jahren bestätigt PISA das, die Digitalausbildung und -ausstattung in den Schulen ist einmalig, die Digitalisierung weit fortgeschritten. Wir sind anders.
Und tatsächlich: Nur 1/8 aller Deutschen gab an, Opfer eines Data Breaches geworden zu sein. Wohingegen es 2/3 der US Amerikaner angaben. Geben wir falsche Infos an? Schämen wir uns und lügen? Sind wir cleverer oder Datenschutz-bewusster? Oder haben wir einfach weniger Konten Online? Oder weniger Zugang, weil die Netze langsam sind und der ganze Kram damit weniger Spaß macht? Oder Hinterwäldler, die nur die neuesten Dienste noch nicht kennen oder nicht nutzen?
Was die Studie sagt:
Mehr Deutsche als alle anderen der Befragten gaben an, dass sie sich weniger Sorgen um Online Sicherheit machen. Vielleicht, weil es weniger Opfer gibt, bisher? Auf der anderen Seite: Die Studie legt nahe, dass wir Deutschen tatsächlich mehr Werkzeuge zum Schutz der Privatsphäre einsetzen, als die Befragten in anderen Ländern.
Uff, da habe ich gerade nochmal die Kurve bekommen. Wir sind also doch besser.
Deutsche Optimisten
Auch interessant: Wir Deutschen glauben, mehr als alle anderen Befragten, dass die Gesetze zum Schutz der Privatsphäre ausreichend sind, wenn auch auf niedrigem Niveau. Das ist zu verstehen, die USA hat dazu keine Gesetze und die anderen Länder sind auch nicht viel besser.
Aber hier ist Deutschland mit der EU auf einem guten Weg. Immer weniger Schutz der Privatsphäre, Terrorismus und Kinderpornografie betreffen uns täglich und gibt es an jeder Ecke, wie Fahrraddiebstähle und Mörder. Wir werden uns anpassen. Was sich aber nicht ändern wird, so glaube ich: Das wir immer noch glauben werden, unsere Gesetze sind besser und wir leben in dem rechtsstaatlichsten Rechtsstaat der Welt.
Übrigens: Haben Sie schon mal gegen eine Firma eine Beschwerde eingelegt, weil Sie Ihre Daten nicht vernünftig behandelt hat, weil sie gegen die DSGVo verstossen hat? Dann sehen Sie, was die Gesetze Wert sind. Sie zu haben ist das Eine, wie sie durchgesetzt werden können das Andere (nämlich gar nicht).
In fast allen Bereichen zum Thema Internetsicherheit und Sorge, dass man Opfer eines Cyberangriffs wird, sind wir Deutschen viel optimischer als die anderen. Wir glauben sehr wenig, Ziel eines Angriffs zu werden. Viel weniger als alle anderen Befragten. Warum nur?
Auch die Sorge, man könnte ein Opfer werden, ist sehr viel niedriger als bei den Befragten der anderen Länder.
Und gleichzeitig geben weniger Deutsche an, zu wissen, wie sie sich Online sicher bewegen können, als andere. German Angst? Anglo-amerikanische Arroganz? Ich weiss es nicht. Dafür glauben die Deutschen laut dieser Umfrage aber auch, dass das Internet heute sicherer ist als vor zwei Jahren. Jede Statistik zu Ransomware, Data Breaches etc. widerspricht dem. Nicht das wir anfangen, dass uns Daten beeinflussen könnten.
Fazit
Was machen wir jetzt mit diesen ganzen Daten?
Ich weiss es nicht.
Ich versuche, meinen Datenschutz und meine Sicherheit regelmässig zu erhöhen, auf jeden Fall aber nicht abzusenken. Ich versuche, andere zu sensibilisieren. Schade, dass sich niemand an der Volkshochschule dafür interessiert. Die Kurse sind sehr günstig, ich verdiene nichts dabei, es sind nur Kosten für Admin und Räume. Anmeldungen in den letzten zwei Corona-Jahren: 0. Ja, das kann viele Gründe haben. Vielleicht weil wir weniger Angst haben, Opfer zu werden? Weil wir glauben, wir wissen, wie wir uns sicher bewegen? Weil Bequemlichkeit wichtiger ist als Datenschutz? Haben diese Menschen schon mal probiert, mit anderen Lösungen zu arbeiten? Sind die unbequemer, haben diese weniger Qualität? Ich denke nicht.