Petition gegen die KI-basierte Massenüberwachung von Campact unterschreiben.
Tauchanalogie: Die EU will, dass Sie sich nackt an den Strand legen. Ein Strand, an dem überall Kameras und Mikrofone sind. 24×7. Tauchen, Schnorcheln, Apnoe Tauchen, in Badehose schwimmen, nichts wäre mehr erlaubt.
Für Ungeduldige
- Die EU will alle Kommunikation im Internet anlasslos überwachen. Bilder, Texte, Videos, Audio, alles
- Das soll nicht nur für Messenger oder Mail gelten, sondern in der aktuellen Version beispielsweise auch für Spiele, die eine Chatfunktionalität bieten. Jede Möglichkeit zwischen zwei Menschen zu interagieren fällt darunter
- Um dies zu erreichen, müssen die Anbieter eine Altersverifikation durchführen
- Um dies zu erreichen, muss entweder die Ende-zu-Ende Verschlüsselung abgeschafft oder eine Software auf Ihrem Gerät installiert werden, die das sicherstellt
- Die Kommission verkauft das als “Schutz von Kindern“
- Der Deutsche Kinderschutzbund sagt, dass die Massnahmen unverhältnismässig seien: „Verschlüsselte Kommunikation spielt bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen kaum eine Rolle“
- Im Beraterausschuss der EU sassen vier Vertreter einer amerikanischen NGO, die die passende Software vertreibt (Thorn)
- Die EU Kommissarin hat in diesem Prozess nicht ein Mal mit einem Datenschutzverantwortlichen gesprochen
- Die Schweizer Bundespolizei meldet, dass in der Vergangenheit von allen gemeldeten Verdachtsfällen 86% ohne rechtliche Auswirkung waren
- Patrick Breyer, EU Parlamentarier, geht davon aus, dass 30%-40% aller Verdachtsfälle Jungendliche betreffen wird
Einführung
Die EU hat sich auf die Fahnen geschrieben, technologisch endlich mit China mithalten zu können. Doch anstelle von besseren Schulen, besserer Ausbildung, mehr Innovation (alles in Länderhänden, ich weiss) oder mehr Wagniskapital, haben sie das Feld der Überwachung ausgewählt.
Eines vorweg: Es ist eine, noch geplante, Verordnung. Das bedeutet, sie muss nicht in lokale Gesetze gegossen werden. Das heißt, kein Land kann es anders umsetzen. Wie Gerichte das lokal auslegen ist eine andere Sache.
Doch wie bringe ich als Politikerin Überwachung an den Menschen, ohne dass ich gesteinigt werde? Ich nehme etwas, auf das sich alle normal denkenden und fühlenden Menschen sofort einigen können. Die Bekämpfung von Kinderpornografie! Will ich etwas lancieren und erwarte Widerspruch, dann werfe ich den Begriff Kinderpornografie und Missbrauch in den Raum. Niemand kann sagen, er sei gegen den Schutz von Kindern. Kindesmissbrauch ist das widerlichstes, schlimmste, ekeligste Verbrechen, das es gibt.
Doch schauen wir uns den Vorschlag, der dem Parlament jetzt vorliegt, mal pragmatisch, mit Zahlen und Fakten an. Dazu müssen wir das Ganze strukturieren, denn die EU hat einiges zusammengelegt.
Es geht um Kinderpornografie und um Cybergrooming.
Fangen wir mit dem an, was die einschlägigen Medien am meisten beschäftigt und genau so von der EU gewollt ist. Und was meiner Meinung nach nicht der Schlimmste der beiden Teile ist.
Kinderpornografie und Kindesmissbrauchsdarstellungen
Was will die EU?
- Bekannte Missbrauchs-Medien, meist Bilder, sollen beim Austausch erkannt und gemeldet werden.
- Unbekannte Missbrauchs-Bilder sollen erkannt und gemeldet werden.
Bekannte Missbrauchs-Bilder werden in einen sog. Hash (wie ein digitaler Fingerabdruck) in Datenbanken abgelegt. Dazu habe ich schon etwas geschrieben.
Die bekannteste Software, die das versucht und laut vielen Aussagen sehr gut macht, ist PhotoDNA von Microsoft.
Ein paar Fakten zu PhotoDNA und andere Informationen
Laut Merkur.de ist die
… Zahl der erfassten Verbrechen rund um Kinderpornografie in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr sehr deutlich nach oben gegangen. Sie stieg im Vergleich zum Vorjahr von 2416 auf 4873 – ein glatter Zuwachs von 101,7 Prozent, wie eine Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der FDP ergab.”
https://www.merkur.de/deutschland/baden-wuerttemberg/mehr-kinderporno-faelle-im-suedwesten-tatort-schulhof-zr-91403097.html
Sind auch mehr Nutzer im Internet oder ist die Zahl konstant oder rückläufig?
Laut Microsoft wurden in 2015 täglich 1,8 Mrd Bilder ins Internet geladen. Davon waren laut Microsoft 720.000 illegale Kinderfotos dabei.
Eine etwas neuere Statistik aus 2020 besagt, dass täglich 3,2 Mrd Bilder ins Internet geladen werden.
Die New York Times hat 2019 berichtet, dass Techfirmen 45 Millionen Bilder als Bilder, die sexuelle Gewalt an Kindern zeigen, markierten.
Um diesen widerlichen Missbrauch entgegenzutreten, verwenden alle grossen Techfirmen Software, meistens die genannte PhotoDNA von Microsoft. Beispiele:
- Gmail scannt Emails schon länger.
- Twitter hat ebenfalls PhotoDNA im Einsatz.
- Apple, mit einer eigenen Software, scannt ebenfalls Bilder, die in die iCloud hochgeladen werden.
- Und auch deutsche Behörden nutzen die Software bei Aufklärung von Straftaten.
All das geschieht bei den Anbietern, also auf den Twitter, Microsoft oder Google Servern. Es geschieht nicht auf Ihrem Handy oder Rechner.
Ich kann das zu 100% nachvollziehen. Ja, ich bin dafür, dass das getan wird. Rein rechtlich müssen diese Firmen sich schützen, dass sie keine illegalen Bilder auf ihren Servern haben. Auch wenn Facebook etc. Inhaltsüberwachung immer wieder bekämpfen, weil sie ja nur eine Plattform sind und damit nicht für die Inhalte verantwortlich. Das klingt wie
Wir verkaufen die Waffen an einen Massenmörder, aber hey, wir haben doch nicht geschossen.”
Autor
Gut. Das haben wir also geklärt. Es gibt das Überprüfen von vor allem Bildern schon länger, an verschiedenen Stellen.
Also warum die Aufregung?
Aus verschiedenen Gründen:
- Die EU will die Chat-Apps wie Signal, WhatsApp, Nachrichten (iMessage) als Quelle ausgemacht haben. Daher heisst es in vielen Artikeln „Chatkontrolle“. Doch die EU hat das nicht nur auf Messenger bezogen, sondern auf alle möglichen Austauschmöglichkeiten. Also auch Email, Chatfunktionen in Spielen oder oder oder. Nochmal: Jede Form, in der Menschen digital miteinander kommunizieren können fällt darunter. Es geht um eine KI-basierte Massenüberwachung jedweder Kommunikationsform. Private Kommunikation wäre damit dahin. Das digitale Briefgeheimnis beendet.
Sämtliche Provider, die Kommunikationsdienste in Europa anbieten, müssen an ein neues, von der EU installiertes, Netz andocken. - Die Überprüfung soll nicht mehr beim Eintritt in die Cloud stattfinden, sondern auf Ihrem Endgerät.
Hey, werden Sie jetzt sagen, das sagt die EU doch gar nicht. Stimmt. Gleich mehr dazu, bleiben wir strukturiert.
Warum also Chatkontrolle? Weil die meisten Messenger Ende-zu-Ende verschlüsselt sind und die Firmen diese Inhalte nicht scannen können. Doch heisst das auch, dass die größte aller Sauereien in den Messengern stattfindet?
Eine überragende Anzahl an Vorfällen (ich konnte keine Statistik finden, auch nicht von der EU, aber vertraue den Aussagen von Kinderschutzorganisationen und Sicherheitsforschern) findet im Darknet statt und nicht auf Messengern. Bei den meisten Messengern müssen Sie eine Telefonnummer registrieren, um sie zu nutzen. Würden Sie darüber kriminelle, ekelerregende Bilder und Videos in die Welt versenden, nie wissend, wer am anderen Ende sitzt? Ich nicht. Messenger sind nicht wirklich dafür gemacht, grössere Bilddatenmengen zu verarbeiten und zu strukturieren oder zu verwalten.
Viele Organisationen, die sich dem Schutz von Kindern verschrieben haben, verstehen das auch nicht. So zum Beispiel der Kinderschutzbund.
Verschlüsselte Kommunikation spielt bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen
https://www.eu-info.de/dpa-europaticker/316232.html
kaum eine Rolle», sagte Joachim Türk aus dem Bundesvorstand des
Kinderschutzbunds der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.
Es sprechen sich zwar mittlerweile Kinderschutzorganisationen für diese Initiative aus, weil
Die Kommission stelle mit dem Plan „die Vision eines verantwortungsvollen Internets vor, in dem Kinder neugierig sein und das sie sicher erkunden können.“
https://www.heise.de/news/Chatkontrolle-Kinderschuetzer-staerken-EU-Kommission-den-Ruecken-7129547.html
Oh oh oh.… Das sieht danach aus, als wenn das bald Gesetz wird. Doch leider liefern sie keine Daten und zielen nur auf die Moral und die Emotion ab. Das ist auch einfacher. Denn Fakten gibt es keine, die dieses Ansinnen in diesem Rahmen belegen.
Ich bin für eine Abwägung und Methoden, die die Kinder wirklich schützen. Daher machen wir weiter.
Die Foren, in den solches verabscheuungswürdiges Material besprochen wird, befinden sich im Darknet. Dort wird diskutiert und es werden Links in das reale Internet bereitgestellt, wo die widerlichen Inhalte verschlüsselt liegen. Das Löschen dieser bekannten Speicherorte wäre ein erster Schritt, doch das machen die Deutschen Behörden nicht, wie wir noch sehen werden.
Die Schlüssel wiederum werden über das Darknet ausgetauscht. Der geringste Teil wird über Messenger ausgetauscht. Haben Sie mit Ihrem Messenger schon einmal versucht, Bilder zu verwalten? Nicht so einfach. Die Datenmengen, das Handling, dafür sind Messenger nicht entwickelt worden, siehe oben.
Da die EU auf der einen Seite die Ende-zu-Ende Verschlüsselung angeblich nicht aufheben will, die Messenger aber ihre Inhalte überprüfen sollen, bleibt nur das überwachen, bevor das Bild versendet wird und wenn es beim Empfänger angekommen ist. Damit ist Punkt 2 betroffen.
Das bedeutet, wie von Apple schon letztes Jahr angekündigt, dass die Bilder, die in den Messenger oder die Email oder oder oder gesteckt werden, vorher, bevor sie verschlüsselt sind, auf Ihrem Endgerät überprüft werden müssen. Das nennt sich Client Side Scanning. Oder man muss die Ende-zu-Ende Verschlüsselung aufheben und die Anbieter auf ihren Servern scannen lassen. Dagegen wäre der Aufschrei aber wohl noch grösser. Die EU Kommissarin Ylva Johansson sagt ganz entspannt, dass das nur
eine Möglichkeit unter mehreren “
Ylva Johansson, Spiegel Interview
ist. Die anderen, die Ihr vorschweben, hat sie nicht bekannt gegeben.
Das bedeutet, dass Ihre Rechenleistung, Ihr Speicher, Ihre Batterie verwendet werden. Genauso, wie Sie mit Ihrem Datenvolumen für die Anzeige von Werbung bezahlen, bezahlen Sie auch hier dafür, dass Sie überwacht werden. Wer sich mit KI ein wenig beschäftigt weiss, dass sie sehr rechenintensiv ist, vor allem wenn unbekannte Bilder oder gar Videos erkannt werden sollen.
Das bedeutet aber auch, dass die Integrität Ihres Gerätes beeinträchtigt ist. Das Vertrauen in das Gerät. Werden wirklich nur meine Bilder gescannt, die ich hoch lade oder versende? Oder werden heimlich auch andere Bilder oder gar Textnachrichten (dazu komme ich gleich noch) oder Dokumente, oder Ton- und Videodateien überwacht? Fange ich mir damit eine Hintertür ein, die auch Kriminelle nutzen können? Wie ich schon in einem Artikel zu Apples Client Side Scanning (CSS) erwähnt habe, lässt sich der Algorithmus, ob man Bilder scannt oder Texte, sehr einfach umbauen. Werden Sie dann noch Ihr Kind am Strand fotografieren? Au weia, da ist ein anderes Kind gerade nackt durchgelaufen. Diese Gedanken werden uns machen und uns dann selbst regulieren. Die psychologische Schere im eigenen Kopf.
Doch hierbei geht es noch “nur” um das überwachen von bekanntem Material, meist Bilder.
Unbekannte Medien
Wenn neue Medien geteilt werden, soll laut EU auch das erkannt und gemeldet werden. Wie erkennt eine KI diese Art von Bildern? Dazu gibt es lange Abhandlungen. Tatsache ist, dass die Fehlerrate sehr hoch ist und noch lange sein wird. Ausserdem zeigen Studien immer wieder, wie einfach eine KI überlistet werden kann. Eine KI hat ein Bild auf dem ein Mensch und ein Elefant zu sehen waren, als Stuhl erkannt.
Oder ein Gesicht wurde als Toaster erkannt.
Sie hat ja sogar Schwierigkeiten bei der Gesichtserkennung was die Geschlechter und Hautfarbe angeht.
Given the task of guessing the gender of a face, all companies performed substantially better on male faces than female faces. The companies I evaluated had error rates of no more than 1% for lighter-skinned men. For darker-skinned women, the errors soared to 35%. AI systems from leading companies have failed to correctly classify the faces of Oprah Winfrey, Michelle Obama, and Serena Williams.”
https://time.com/5520558/artificial-intelligence-racial-gender-bias/
Es wird eine hohe Fehlerrate geben. Das bedeutet, dass viele Bilder fälschlicherweise bei den Behörden landen. Wenn ich in mein Album schaue, als Kind am Strand von Italien, wie Gott mich schuf, bevor McDonalds mich formte, da hätten die Angestellten der neuen Behörde ihren Spass und meine Eltern ggf. Ärger. Diese werden mit solchen Bildern massenhaft bombardiert. Doch diese Behörden sind mit dem heutigen Aufkommen schon mehr als überfordert wie u.a. die Tagesschau berichtet.
Spiegel und NDR haben die Löschung von 80.000 Bildern bei Anbietern veranlasst, die den Behörden bekannt waren. Bekannt waren. Und es wurde nichts unternommen. Fangen wir doch einfach hier an.
Diese Behörden sollen jetzt noch mehr Heu bekommen in denen sie die Stecknadel suchen sollen.
Der Sprecher des Schweizer Bundesamtes für Polizei, Fedpol, Florian Näf:
2020 trafen bei uns rund 8000 Meldungen ein. Strafrechtlich relevant waren davon zirka 14 Prozent.“
https://www.basicthinking.de/blog/2021/07/08/massenueberwachung-messenger-eu/
86% der Meldungen waren strafrechtlich nicht relevant.
Stellen Sie sich das vor: Von dem 3,2 Mrd Bilder täglich, TÄGLICH (ohne Videos, die kämen noch dazu) sind sicher ein paar Millionen verdächtig. Diese müssen alle manuell von Menschen überprüft werden und dann sind 86% Fehlalarme.
In Zukunft werden es nicht 8000, wie oben zitiert, in Europa oder Deutschland oder der Schweiz sein, sondern Millionen. Damit werden die Ressourcen für Arbeit eingesetzt, die eine sehr niedrige Effektivität hat und ist damit nicht mehr für die wirklichen wichtigen Aufgaben verfügbar.
Teenager
Von diesen “saumässig” viel Fällen werden sehr viele innerhalb der Teenager-Community mit Zustimmung (aber natürlich auch ohne) versendet.
Wie das Schweizer Tagblatt schreibt, sind das Versenden von Nacktfotos unter Jugendlichen “Alltag”.
Demzufolge haben 43% der befragten Jugendlichen zwischen 12 und 19 schon einmal erotische oder aufreizende Fotos und Videos von anderen Teenagern auf ihrem Handy oder Computer erhalten. Solche Inhalte selbst verschickt haben insgesamt elf Prozent. 11% heisst übersetzt, in jeder deutschen Schulklasse sitzen 2-3 Teenager, die Nackbilder oder Nackvideos von sich oder anderen versenden.
Laut Watson.ch ermittelt die Züricher Staatsanwaltschaft gegen Dutzenden Minderjährige wegen selbst hergestellter Pornografie.
Doch auch zu Deutschland gibt es Daten.
Kinder und Jugendliche sind bei diesen Delikten stets die Opfer – werden aber auch immer häufiger zu Tatverdächtigen, die selbst pornografische Inhalte verbreiten. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg 2021 quer durch alle Altersgruppen kräftig an, aber zum Großteil handelte es sich um Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Die Zahl der Täter unter 14 Jahren stieg im Südwesten um 45 Prozent auf 762.”
https://www.merkur.de/deutschland/baden-wuerttemberg/mehr-kinderporno-faelle-im-suedwesten-tatort-schulhof-zr-91403097.html
UNTER 14 Jahren. Also 10, 11, 12, 13. Unfassbar. Ich bin selber überrascht.
Patrick Breyer, EU Abgeordneter und die letzte Instanz der Vernunft zu diesen Themen, geht davon aus, dass 30-40% der Strafverfahren gegen Minderjährige sein werden.
Schickt eine 13-Jährige ein Nacktfoto als vermeintlichen Liebesbeweis an ihren Freund, gilt das nach dem Gesetz bereits als Kinderpornografie. Gerät das Foto in den Klassenchat, kann sich jedes Mitglied darin strafbar machen. Die Polizei ermittelt dann schnell gegen alle Mitglieder.
Auch diese Fälle, selbst wenn sie im gegenseitigen Einvernehmen unter Teenagern von statten gehen, müssen die Behörden verfolgen. Wollen wir wirklich die Halbstarken, die sich ein paar “Dickpics” oder “Busenfotos“ in Messengern senden, verfolgen und einsperren? Während die organisierten Kriminellen, die Kinder vergewaltigen, foltern und auf jedwede unvorstellbare Art missbrauchen, das fotografieren und filmen und sich im Darknet tummeln, in Ruhe lassen, weil wir mit den Teenagern beschäftigt sind? Denn genau das ist das, was passiert, wenn wir uns auf Messenger konzentrieren.
Auf die Spitze treibt das, mal wieder, die USA.
“Der aktuellste Fall sorgt nun für besondere Aufmerksamkeit: Drei Mädchen von 14 und 15 und drei Jungs von 16 und 17 Jahren stehen in Pennsylvania vor Gericht wegen Verbreitung und Besitz von Kinderpornografie. Die Mädchen hatten den Jungs Fotos von sich zugeschickt. Angezeigt wurden Senderinnen und Empfänger.”
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/sexting-zeigefreudige-us-teenager-kassieren-kinderporno-klagen-a-601399.html
Auch die Empfänger. Also wenn ich Ihnen ein Dickpic sende, kommen Sie vor Gericht. Wollen wir so eine Gesellschaft? Wollen wir so die begrenzten Ressourcen einsetzen?
Nehmen wir an, das Gesetz kommt durch? Was machen die vielen kleinen Anbieter von Messengern und Mailsoftware? Laut der EU erhalten diese dann Software von der EU um ihren Pflichten nachzukommen. Diese ist natürlich nicht Open Source und daher kann keine Aussage getroffen werden, wie oder wie gut sie funktioniert. Wenn die so gut ist, dass die EU sie verteilen kann, warum erhalten die dann nicht alle Anbieter?
Was die EU, soweit ich das gesehen habe, nicht beurteilt: Was ist mit den ganzen Chats in Unternehmen? Auch diese müssen überwacht werden. Das wird vor allem in Zuge des nächsten Teils interessant, wenn nicht nur Bilder sondern auch alle Texte überwacht werden sollen.
Grooming
Die ursprüngliche Bedeutung des Verbs heisst putzen, reinigen oder auch striegeln. Daraus ergibt sich logischerweise, dass Cybergrooming das Kontaktieren von Teenagern durch ältere Menschen ist. Naja, oder so ähnlich.
Mit dem Begriff Cyber-Grooming (zu Deutsch sinngemäß Anbahnung) wird die gezielte Manipulation Minderjähriger sowie junger Volljähriger über das Instrument Internet bezeichnet. Das Ziel ist, das Opfer in eine Falle zu locken, um Straftaten wie sexuell motivierte Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung zu begehen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Cyber-Grooming
Interessant hier ist: Junge Volljährige. D.h. Die EU will Erwachsenen, Wahlberechtigten, im Prinzip vorschreiben mit wem sie chatten dürfen?
Damit die EU ihre Ziele erreicht, muss sie jede Nachricht scannen. Auch zwischen zwei Erwachsenen. Es sei denn, sie kennt das Alter. Noch ein Grund, den Pass abzufragen. Und schon haben wir die Klarnamenpflicht eingeführt. En passant.
Dann lassen wir doch einfach mal Zahlen sprechen.
Im Oktober 2020 wurden laut Statista alleine auf WhatsApp weltweit 100 Mrd Nachrichten pro Tag verschickt. Jeden Tag. Wenn man Mrd von Nachrichten hat, hat schon eine sehr kleine Fehlerrate eine enorme Auswirkung.
Beispiel: Die Sterblichkeitsrate bei Corona ist 0,56% in Deutschland.
Also eine Person von ca. 200 Infizierten stirbt. Das erscheint wenig. Nehmen wir diese mal und wenden sie auf die Textnachrichten an..
Nehmen wir an, die EU hat 10% des weltweiten WhatsApp Verkehrs. Dann kommen wir auf 10 Mrd Nachrichten.
Wenn also 10 Mrd Nachrichten in der EU täglich gescannt werden (wie ist das, wenn ein EU Bürger mit einem nicht EU Bürger chattet?) und wir als Fehlerrate die Corona Sterblichkeitsrate von 0,56% annehmen, dann ist das saumässig viel. 56 Millionen Nachrichten müssten dann TÄGLICH von Menschen überprüft werden. Wir erinnern uns, die Deutsche Polizei konnte nicht mal 80.000 Bilder löschen lassen, über Jahre.
Stimmt ja, ich vergaß, die EU will dafür eine neue Behörde gründen, mit sage und schreibe 100 Mitarbeitern. Wollen sie es wirklich richtig machen, dann wäre das der größte Arbeitgeber der Welt, so viele Leute müssten sie einstellen.
Der CCC rechnet sogar mit 20% Fehlerrate bei KI Software. (Interview mit Linus Neumann, Sprecher des CCC).
Das würde bedeuten, dass 2 Mrd Nachrichten, jeden Tag, von Menschen überprüft werden müssten.
Aber selbst wenn die KI viel viel besser ist, unter 1% oder gar unter 0,1% Fehlerrate. Dann haben wir immer noch saumässig viel Nachrichten, die fehlerhaft erkannt werden. Die dazu benötigten Ressourcen fehlen dann woanders.
Also haben wir die Zahlen abgehakt und festgestellt, dass das nicht leistbar ist.
Ich kenne KI ein bisschen. Eine KI, die in einem Chat eine Anbahnung mit hoher Trefferrate erkennen kann, erscheint mir noch sehr weit weg. Also, worum geht es, mal ohne Zahlen?
Vor allem geht es im ersten Schritt beim Cybergrooming mal darum, Nacktfotos zu erhalten. Was uns zu obigen Teil des Artikels bringt.
Doch wie stellt man fest, ob jemand ein junger Volljähriger oder ein Minderjähriger ist oder ein Erwachsener? Durch KI? Das ist alles andere als einfach. Viel einfacher dagegen ist, das jeder Kommunikationsteilnehmer sich ausweisen muss, damit er chatten und mailen darf. Das wiederum wird zu einer Klarnamenpflicht führen, durch die Hintertür. Genauso kam durch die Hintertür der Uploadfilter.
Nein, es wird keine Uploadfilter geben, sagte der Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Jetzt haben wir sie. Sie standen auch nicht im Dokument. Aber es gab letztendlich keine Alternative für die Unternehmen.
Ich finde diesen Grooming-Teil der Initiative viel schlimmer als den oben beschriebenen zur Kinderpornografie, aus Datenschutzsicht. Weil es bedeutet, das alle Nachrichten, alle Emails, alle eingehenden und ausgehenden Dokumente, Texte, egal was, überwacht werden. Denn genau so ist das Ansinnen formuliert. So schwammig, so unkonkret (mit dem Hinweis, dass die Unternehmen das selber lösen müssen), dass es einfach für alles gelten kann. Apropos Unternehmen: Damit müssten dann auch alle Chats von Unternehmen, Politikern, Behörden usw. überwacht werden. Da war doch was, Ursula?
Zumindest weiss sie wenigstens, wie man Chats löscht.
Aber bleiben wir beim Chatten. Wenn ich die Anbahnung erkennen will, muss ich auch die Beziehung der beiden Teilnehmer zueinander kennen. Schreibt der Vater der Tochter „Hallo Süße“, ist das etwas anderes als wenn eine erwachsene Frau einen völlig unbekannten Teenager anbaggert.
Ich trainiere eine Horde Kinder von 6-14 Jahre. Auch wir haben einen Chatchannel. Wer uns nicht kennt, könnte das als Flirting oder Cybergrooming einordnen, was es aber nicht ist. Auf beiden Seiten.
D.h., es muss ein Beziehungsnetzwerk erzeugt werden, um die Trefferrate zu erhöhen und die Fehlerrate zu senken.
Wenn das Alter überprüft werden muss, dann werden die Anbieter, meist amerikanische Datensammelfirmen, das voraussichtlich über ein Video-Ident Verfahren machen, oder ähnliches. Auf jeden Fall kommen sie so auch an unsere Ausweisdaten. Wie wir wissen, ist keine Firma, kein Server sicher vor Databreaches. Damit können Sie davon ausgehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch diese Daten für alle im Internet zugänglich sind. Der Missbrauch, der damit entstehen kann ist unvorstellbar.
Ja, es gibt auch andere Verfahren. Da die Datensammler aber sowieso Ihre Daten wollen, werden sie die datenschutzfreundlicheren Lösungen womöglich nicht nutzen. Und wenn doch, wird es sicherlich einen Fall geben, bei dem getrickst wird. Dann wird das bekannt und es wird deshalb, weil es nicht anders geht, anders, weniger datenschutzfreundlich, umgesetzt. Hypothesen. Aber ich bin alt genug, solche Prozesse schon einmal erlebt zu haben.
Abschluss
Warum macht die EU das? Eigentlich verstehe ich das nicht. Es spricht alles dagegen. Es spricht alles dagegen, dass es das Problem löst. Es spricht alles dagegen, dass die Einschränkungen der Menschenrechte, die Komplettüberwachung von fast 500 Millionen Bürgern, die Ergebnisse rechtfertigen.
Es ist denkbar, dass es um Politik geht. Bisher hat die EU relativ wenig Erfolg mit dem Schutz von Kindern gehabt. Jetzt will sie vielleicht zeigen, dass sie es nicht auf sich sitzen lässt. Man will zeigen, das man etwas unternimmt und sich sogar mit Menschenrechten zum Schutz von Kindern anlegt. Und ehrlich: Kein Politiker muss Widerstand befürchten, wenn er Kinder schützen will, schon gar nicht bei so grauenvollen Taten, siehe Wermelskirchen. Ansonsten kommt ein Fall hoch und sie müssen sich fragen lassen, warum sie nicht mehr getan haben.
Damit lenkt die EU vom eigenen Versagen ab, in dem sie die Bazooka herausholt, einen noch grösseren Heuhaufen ansammelt, damit die Behörden auch diesen nicht abarbeiten können und es noch schwieriger machen. Weil der Heuberg prozentual stärker zunimmt, als die Nadeln darin.
Nancy Faeser hat sich dazu geäußert. Erst war sie Feuer und Flamme dafür, dann hat sie Ihre Meinung ein bisschen geändert. Jetzt spricht sie von „anlasslos“ geht nicht. Aber was heisst das? Dass die Software auf jeden Fall schon mal installiert und bei Bedarf, bei einem Anlass, aktiviert wird, aus der Ferne? Oder wird der Trojaner, denn etwas anderes ist es nicht, erst installiert, wenn es von einem Richter genehmigt wird? Mir schwant schlimmes.
Am Ende wird es darauf hinauslaufen, dass diese Funktionalität, wie von Apple ja geplant, in die Betriebssysteme eingebaut werden muss. Dann ist jedes technische Gerät tatsächlich eine Wanze, mit allem drum und dran und die 24stündige Totalüberwachung fast schon erreicht. George Orwell würde sich im Grabe umdrehen.
Mit dieser Massnahme wird jedem Bürger der EU mitgeteilt: Wir vertrauen Dir nicht. Aus unserer Sicht bist Du ein potenzieller Kinderschänder. Dieser Vertrauensbruch hat Auswirkungen. Vielleicht sind Sie alt genug als es in Deutschland diskutiert wurde, dass jeder Soldat ein potenzieller Mörder ist. Was für ein Aufschrei. Jeder Internetnutzer ist ein potenzieller Kinderschänder. Kein Aufschrei.
Was die EU auch nicht erklärt und in den einschlägigen Medien so gut wie gar nicht behandelt wird: Was bedeutet das für Anwälte, Ärzte, für die Steuer, für Firmen (wie schon erwähnt)? Was bedeutet das für Whistleblower? Firmen stellen oft verschlüsselte Möglichkeiten zur Verfügung um Daten und Bilder zu senden.
In Ländern, die weniger demokratisch sind: Was bedeutet es für Dissidenten? Können die immer noch sicher sein, dass sie nicht überwacht werden?
Da kommt der Missbrauchskomplex Wermelskirchen. Und schon heisst es: Der Datenschutz hat uns gebremst und ich verzweifle manchmal am Datenschutz. Diese Kommentare werden wir jetzt noch öfter hören. Weil die Politik dieses Gesetz unbedingt durchdrücken will.
In den Medien spricht man von 3,5 Millionen Bilder, 1,5 Millionen Videos, die getauscht wurden. Da steht nichts von Messengern oder Email. Versuchen Sie mal mit WhatsApp etc. 3,5 Millionen Bilder zu teilen. Angeblich 32 TB Material.
Ich sagte eben, man wolle das Gesetz mit aller Gewalt durchdrücken. Hier der beste Beleg dazu, den die EU hat schon Ressourcen bereitgestellt und Projekte laufen an.
Der österreichische Radiosender fm4 meldet:
„Die kommende Verordnung gegen Kindesmissbrauch im Netz hat ein weit größeres Ausmaß, als bis jetzt angenommen wurde. Vorgesehen ist nämlich eine neue EU-Behörde in Den Haag mit etwa 100 Mitarbeitern namens „EU Centre“. Die soll ein neues Datennetz mit Knoten in allen Mitgliedsstaaten aufbauen und betreiben.
…
Dieser Prozess ist bereits angelaufen, denn die Kommission hat einen Fonds zum Netzaufbau in den Mitgliedsstaaten eingerichtet, obwohl es derzeit keine Rechtsgrundlage dafür gibt. Darüber sollen sämtliche Provider – von Whatsapp bis zu E-Mail-Services – weite Teile ihres Datenverkehrs mit einer zentralen Datenbank abgleichen. Das und noch mehr geht aus den Begleitdokumenten zum Kommissionsentwurf hervor.
… steht mitten im Text des „Erklärenden Memorandums“ (Einleitung Seite 4). Im Verordnungstext wird die Funktion dieser natіonalen Datencenter dann ab Artikel 41 präzisiert.
Mit diesem Netz werden vollendete Tatsachen gesetzt, obwohl der Text im EU-Parlament noch nicht einmal vorliegt.“
fm4
Sie machen Nägel mit Köpfen. Ohne rechtliche Grundlage. Mit unseren Steuergeldern. Kein Aufschrei.
Ich denke, Eltern und Lehrer haben schon auch noch die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen. Wenn ich lese, dass es „zum Alltag der Jugendlichen“ gehört, Nacktfotos zu versenden, dann haben die Eltern und die Schule versagt. Medienerziehung in Schulen, Eltern die ein bisschen mehr über das Handy wissen, als wo man es anschaltet, würden helfen. Doch das geschieht nicht und wir diskutieren das seit Jahrzehnten. Wieder soll der Staat, dieses Mal mit Überwachungsmassnahmen, eingreifen. Auch das Cybergrooming könnte man erklären, bei Kindern Aufmerksamkeit dafür schaffen, wie bei Fakenews auch. Doch lieber schaffen wir Menschenrechte ab. Ich verstehe das nicht.
Wir holen uns Überwachungssoftware auf unsere Handys, weil wir die Erziehung schlecht machen.
Um es mit dem CCC zu sagen: Es ist ein KI-basierter Staatstrojaner für alle. Nicht nur eine Chatkontrolle.
Die bisherigen Staatstrojaner durften alles, aber nur bei Verdächtigen. Jetzt sollen alle Menschen in diesen Genuss kommen. Jeder ist potenziell kriminell.
Wehren Sie sich:
In Deutschland Petition gegen die Chatkontrolle von Campact unterschreiben.
Auf der Seite chatkontrolle von Patrick Breyer finden Sie noch mehr Informationen, auch was Sie konkret tun können, welche Forschungsergebnisse es zu diesem Thema gibt und vieles mehr.
Da ich die Umsetzung in die analoge Welt so mag: Was die EU hier will ist: In jedem Zimmer in jeder Wohnung in der EU soll nicht nur ein Rauchmelder hängen, sondern eine Kamera und ein Mikrofon, die rund um die Uhr jeden Winkel überwachen. 24×7. Und wenn plötzlich ein nacktes Kind durch die Kamera läuft, springen alle Alarmglocken an. Alles wird an das Zentrum in Brüssel gesendet und die dürfen sich anschauen, wie Sie sich mit Ihrem Dreijährigen auf das Freibad vorbereiten.
PS: In Vorbereitung dieses Vorstosses hat sich Ylva Johansson, die das vorantreibt, nicht ein Mal mit einer Datenschutzorganisation getroffen.