Fakten, Mythen

‚Meine Daten haben doch keinen Wert!‘
‚Ich als Individuum bin uninteressant!’
‚Ich habe doch nichts zu verbergen.‘

– Freunde, Bekannte, Menschen …

Diese und andere Kommentare höre ich immer wieder, wenn ich mit Menschen über Datenschutz, Tracking und Privatsphäre spreche. Schauen wir uns diese Sätze einmal an.

Meine Daten haben doch keinen Wert!

Alphabet, die Mutterfirma von Google hat 2019 einen Umsatz von $161 Mrd erziehlt. Der Bruttogewinn lag bei $90 Mrd. Über 80% davon entstanden durch Werbung. 

Ein anderes Beispiel:

Facebook hat 2019 einen Umsatz von $71 Mrd erwirtschaftet und dabei einen Bruttogewinn von $58 Mrd erreicht. Der Reingewinn lag bei über $12 Mrd und das bedeutet bei ca. 2 Mrd Mitgliedern, dass jedes Mitglied einen Gewinn von mehr als $6 pro Jahr für Facebook bedeutet. Die Marktkapitalisierung war beim Schreiben dieses Buches bei $631 Mrd. Bei angenommenen 2 Mrd Nutzern, ist jeder Nutzer für die Firma $315 wert. Sie sind Facebook wirklich wichtig. Die Anzahl der Nutzer auf Facebook hat sich seit 2010 verdreifacht (310%), der Gewinn aus Werbung aber fast vervierzigfacht (3600%). 

Insgesamt war der globale Werbemarkt $563 Mrd1. D.h. 41% des weltweiten gesamten Werbemarkts ist in den Händen von zwei Unternehmen. Tendenz steigend. Es wird auch vorausgesagt, dass2020 das erste Jahr sein soll, in dem Online Werbung über 50% aller Werbung ausmacht. Und das nicht zum Schaden von Facebook oder Google. Und das mit Ihren Daten.

Doch wohin gehen diese Daten? Nicht alle immer direkt an Google oder Facebook. Oft sind sog. Datensammler dazwischen geschaltet.

Kennen Sie die?

  • Chartbeat
  • Quantserve
  • IABEurope 
  • Adnxs
  • yxwi.net
  • r9cdn.net
  • maxymizer
  • Twitter
  • branch.io
  • app-measurement.com
  • taboola.com
  • Doubleclick
  • Adobe
  • Facebook
  • Google
  • srvtrck.com
  • online-metrix.net
  • yadro.ru

Hier sehen Sie ein Beispiel, welche Server angesprochen werden, wenn Sie auf die Webseite der Washington Post gehen. 

Das bedeutet nichts anderes als das diese Datensammler nicht nur Gewinn durch die selbst erbrachten Leistungen einfahren, sondern auch, weil Sie Werbung auf anderen Seiten und in anderen Apps schalten. 
Das würde nicht passieren, wenn Ihre Daten nichts Wert wären. Google bezahlt Apple zwischen $8-12 Mrd, damit Apple Google als Standard-Suchmaschine bei neuen iPhones einstellt.

„Ich als Individuum bin uninteressant!“

-Bekannte

Das ist in einer Dimension wahr. Sie, als Max Mustermann aus Castrop-Rauxel sind uninteressant. Weil jeder für die Werbetreibenden interessant ist. Jeder Fan im Stadion ist im Prinzip uninteressant, aber die 80.000 die Stimmung machen, nicht. Im Internet gibt es mitlerweile Informationen zu Milliarden Internetkonten. LinkedIn, Yahoo, Google, Apple, jede bekannte Firma wurde schon gehackt, sogar der Chef von Amazon, Jeff Bezos (siehe Kapitel über Messenger). Das hat einen Grund und kommt irgendwoher. Und es gibt ganz offensichtlich einen Markt dafür.

„Ich habe doch nichts zu verbergen.“

-Jeder Mensch, den ich kenne

Eine für mich sehr ärgerliche Aussage.

Nichts zu verbergen zu haben ist ein derart dummer Ausspruch, dass ich eigentlich gar nicht darüber schreiben will. Da es aber notwendig erscheint, will ich dazu ein paar Punkte adressieren.

Wir halten uns alle an das Gesetz, das ist klar. Noch niemand von den Menschen, die wir kennen, hat je bei der Steuer ein wenig geschummelt, ist mal unbemerkt bei rot über die Ampel gefahren oder an Silvester Nacht mit mehr als 0,8 pro Mille. Niemand von uns hat mal auf einem Behindertenparkplatz gestanden obwohl er das nicht durfte oder ein paar Minuten im Halteverbot. Aber Gesetze ändern sich. Ebenso wie moralische Vorstellungen. Es gab Zeiten, da wurde offen in Deutschland über Sex mit Menschen bis 14 Jahre hinunter diskutiert. Heute wäre das für den, der diese Diskussion startet ein gesellschaftliches Todesurteil. Damals war es das nicht. Denken wir an oben: Was wäre wenn Hitler eine Art Facebook gehabt hätte? Alles Geld wäre digital gewesen, jede Abrechnung von Strom oder Wasser wäre digital gewesen? Hätten dann die vielen Deutschen, die Ihr Leben zum Schutz von Juden riskiert haben, das trotzdem gemacht? Und wären Sie genauso erfolgreich gewesen? 

Und was ist mit der Moral? Ändert die sich mit den Jahren, Jahrzehnten? Sind Dinge, die vor vielen Jahren gefährlich waren, heute akzeptiert? Wie sah es mit Homosexuellen vor 30 Jahren aus, durfte man problemlos in den 70ern abtreiben? Konnte man in den 90gern sagen, man sei HIV-positiv? Kann man das heute? Gab es damals noch mehr Schwimmlehrer oder weniger? Hat sich etwas geändert? Ja. Und je nachdem wie liberal Sie sind, zum besseren oder zum Schlechteren? Das ist egal. Es hat sich geändert und nicht auf allen Ebenen sind wir „liberaler“ geworden.

Die Privatsphäre ist ein Grundrecht. Es ist ein Menschenrecht. Und was bedeutet es, wenn in der Runde gefragt wird, wer ist HIV-negativ? Alle sagen: „ich nicht“, nur Jürgen, der sagt nichts. Ist er dann positiv? Und wenn er nichts zu verbergen hat, wieso antwortet er dann nicht? Er muss was zu verbergen haben. Sonst könnte er es doch sagen. Vielleicht denkt Jürgen ja auch nur: Das geht Euch einfach nichts an. Edward Snowden hat das sehr deutlich formuliert:

„Arguing that you don’t care about privacy because you have nothing to hid is no different than saying you don’t care about free speech because you have nothing to say.“

-Edward Snowden

Treiben wir das noch ein bisschen weiter. Ob Religionen geschützt sind ist mir doch egal, ich bin Atheist. 

Pastor Niemöller war ein grosser Fan von Adolf Hitler. Als Hitler an die Macht kam, ändert sich das und er landete im KZ. Dort schrieb er ein bemerkenswertes Gedicht.

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Privatsphäre heisst auch Schutz von anderen. Wie das Masketragen bei Sars-Cov2. Ich kann mich als Mann für Frauenrechte einsetzen, ich kann mich als Heterosexueller für Homosexuellenrechte einsetzen usw. Wenn ich das für richtig halte. Ich kann auch eine andere Meinung haben. Nur still bleiben sollten wir nicht. Nur so bleibt sichergestellt, dass auch unsere Meinung, unsere Ansichten frei geäussert werden dürfen. Wenn jemand in meinen Vorträgen sagt, er habe nichts zu verbergen, frage ich nach seinem letzten Bluttest, nach seiner Steuererklärung, nach seinem Emailpasswort und nach Pin-Code auf seinem Handy. Wenn er sagt, die habe er nicht dabei oder vergesesn, dann gebe ich ihm meine Emailadresse (einen alias, wie Sie später lernen werden) und bitte ihn, mir diese Daten doch bitte zu senden. Ich habe noch nie auf eine derartige Anfrage eine Antwort erhalten. 

Wir sollten vorsichtig sein: Privatsphäre und Heimlichtuerei und Verschwiegenheit sind nicht dasselbe. Wenn Sie auf die Toilette gehen, dann machen die meisten Menschen die Tür zu. Manche Männer gehen, trotz Urinal, in die Kabine. Ich weiss meist genau, oder habe eine Idee, was Männer auf dem WC machen. Trotzdem werden die Türen geschlossen. Das ist keine Heimlichtuerei, dass ist Privatsphäre. Und die gilt uneingeschränkt für jeden und überall. Und für die einen ist eine offene Tür oder ein Urinal in Ordnung, für andere nicht. Wer sind wir, dass wir entscheiden dürfen, wie weit die Tür für die anderen geöffnet sein muss?