Aus dem täglichen Leben: Fahrräder und DNS

Und wieder ist ein Kurs abgeschlossen. Eine tolle Gruppe mit interessierten Menschen. Aber auch Gespräche mit Kollegen und Freunden hatte ich in den letzten Tagen. Dabei sind immer wieder Fragen und Aussagen aufgetreten, die ich oft höre.

Ich habe mit Google/Apple die letzten zehn Jahre Daten abgegeben, da ist es jetzt auch egal, oder?

Mitnichten. Es ist nie zu spät damit anzufangen. Ideal wäre ein totaler digitaler „Reboot“. Also ein kompletter Neustart. Doch das ist nur für Extremfälle notwendig und wirklich hilfreich. Außerdem ist ein totaler Reboot in Deutschland so gut wie unmöglich.

Zur Profilerstellung der Werbetreibenden und mittlerweile auch zum Training der KIs werden alle Daten herangezogen, die im Umlauf sind. Kommen bei einem Profil immer weniger dazu, wird das Profil „uninteressanter“, es wird weniger geboten, um bei diesem Nutzer Werbung zu schalten. Jemand, der vor 10 Jahren Daten zum Joggen abgegeben hat und seit zwei Jahren keine Daten mehr abgibt, ist nur schwer einzuschätzen, ob er noch für Joggingwerbung empfänglich ist. Beispiel: Ich habe für meine Mutter Online eingekauft. Vor sechs Jahren hat das aufgehört. Doch ich bekomme heute noch entsprechende Werbung auf manchen Seiten angezeigt. Klicke ich diese an? Nein. Wird damit Geld bei den Werbetreibenden generiert? Nein. Also werden sie weniger Geld bieten, um bei mir werben zu dürfen.

Es geht doch nur um Werbung, und um ehrlich zu sein, ich will Werbung. Je besser die auf mich zugeschnitten ist, desto besser für mich. Ich habe da schon Produkte gefunden, die ich sonst nie gefunden hätte.

Das freut mich zu hören. Das heißt
1.: Sie haben Geld zum Ausgeben. Sie gehören nicht zu den 22% Mindestlohnempfängern von allen Beschäftigen oder Arbeitslosen oder Kindern aus prekären Verhältnissen.

Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betrifft die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro pro Arbeitsstunde rund 22 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse.“

2. Das heißt also, Werbung und damit Manipulation wirkt. Wo mir doch 90% aller Menschen sagen, Werbung würde sie nicht beeinflussen.

Wer meine Kurse besucht und sich mit mir über die Gefahren der Datensammelei unterhält, wird nicht hören, dass ich Werbung für das schlimmste Problem halte. Ich habe in diesem Blog auf die anderen Gefahren hingewiesen. Für mich das wenigste interessante Thema, keine Daten abgeben zu wollen ist Werbung. Für mich viel gravierender sind die vielen anderen Themen, wie die Gefährdung der Demokratie, des Rechtsstaats, der Manipulation, Erregungsbewirtschaftung. Das wenige so reich werden, dass für sie keine Gesetze mehr gelten, sie sich Politiker und Medien kaufen können. Dass Firmen angeheuert werden, die anhand von Profilen Wähler beeinflussen und somit ganze Wahlen. Dass Menschen ihr Recht zum Fliegen verlieren, wie Nelson Mandela, der auf der No Fly Liste der USA stand. Dass mit den vielen Daten bessere Hackerangriffe passieren können, z.B. beim Phishing oder Social Engineering u.v.m. Je mehr Daten wir abgeben, desto eher können Systeme infiltriert werden. Lesen Sie über die Gefahren nochmal nach, da steht vieles drin, alles Fakten. Ach ja, und was mich am meisten nervt: Wieso ich, der sich für das Einhalten von Gesetzen einsetzt, der sich für den Rechtsstaat engagiert, erklären und verteidigen muss. Und Außenseiter bin, der sich anzupassen hat.

Was Du mir empfiehlst bedeutet nur, dass ich Online nicht mehr shoppen kann. Mein DNS Blocker nervt mich. Das ist alles Mist.

Lovely. Das ist vergleichbar im Analogen mit: Sie fahren mit dem Fahrrad zum Bahnhof, schließen es mit einem ABUS Fahrradschluss „Maximum Sicherheitslevel“ ab. Dann kommen Sie zurück und das Fahrrad ist geklaut. Sie erzählen Ihrer besten Freundin davon und die sagt: Wieso fährst Du auch Fahrrad und stellst es am Bahnhof ab? Warum reden wir nicht über die Diebe und wie man diese zur Rechenschaft ziehen kann? Natürlich überlege ich mir jedes Mal, ob ich mit dem Fahrrad fahre, ein noch besseres Schloß brauche usw. Doch zu hören, ich sei ja selber schuld, kotzt mich an. Ich habe für mich eine Risikoberechnung gemacht und entschieden, dass es für mich passt. Ich habe mich getäuscht, das passiert. Es ist aber die falsche Diskussion. Es ist Freiheit, wenn ich mit dem Fahrrad fahren kann ohne Sorgen haben zu müssen, dass es geklaut wird. Und wenn es geklaut wird, die Möglichkeit zu haben, das anzuzeigen und die Täter dingfest zu machen. Ich glaube immer noch an und bin überzeugt von einem Rechtsstaat. In dem werden die Kriminellen gesucht und gefunden und nicht die Opfer verhöhnt und ihnen eine Mitschuld gegeben. Sehr stark haben wir die Diskussionen bei sexuellem Missbrauch. Da sind wir uns mehrheitlich einig, dass ein Minirock keine Mitschuld bedeutet.

Auch wenn ich mehr und mehr den Eindruck habe, dass wir uns von Demokratie und Rechtsstaat immer mehr verabschieden, bin ich für ihn, glaube an ihn, will ihn. Beispiel: „Im Zweifel für den Angeklagten“ oder „Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils“. Ohne diesen Glauben, kann und will ich nicht leben.
Ich weiß, Fahrraddiebstähle werden selten aufgeklärt, nur knapp 10%.

In den letzten Jahren wurde etwas weniger als jeder zehnte gemeldete Fahrraddiebstahl aufgeklärt, mit leicht sinkender Tendenz. 2022 wurden 9,3 Prozent der Fälle aufgeklärt, in den Jahren davor waren es 9,9 beziehungsweise 9,8 Prozent.

https://www.transparent-beraten.de/2023/07/04/fahrrad-diebstahl-unfall/

Für mich ein weiteres Versagen der Politik und Polizei.

Es ist meine Entscheidung, mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu fahren und das Risiko, dass mein Fahrrad geklaut werden könnte, einzugehen. Da will ich nicht hören, selber schuld, wenn es passiert. Dann will ich hören: Armer schwarzer Kater. War es versichert? Soll ich mit Dir zur Polizei gehen? Soll ich Dir mein Rad leihen?

Hier beschwert sich jemand über meine DNS Empfehlung zum Blockieren von bestimmten Seiten und Anbietern. Er sollte sich über die Firmen beschweren, die sich nicht an Gesetze halten oder meinen, neben dem Preis für das Produkt noch Geld mit dem Verkauf von Daten machen zu müssen. Wir beschweren uns über den Datenschutz, der uns die Cookie-Banner eingebrockt hat, anstelle uns darüber zu beschweren, dass viele Firmen diese missbräuchlich einsetzen, unsere Auswahl ignorieren und erst wenn noyb sich bei denen meldet, etwas ändern. Die Firmen machen das solange, bis sie erwischt werden. Doch bis dahin sind die Daten gesammelt.

Ein schöner Fall ging gerade durch die Medien. (Danke für den Hinweis M.)

2017 verdonnerte die Kommission Google zu einer Strafe von 2,42 Milliarden Euro. Der Tech-Konzern wehrte sich, jetzt wird final vor dem EuGH verhandelt.

Damit sind seit der ersten Beschwerde der europäischen Konkurrenten im Jahr 2009 fünfzehn Jahre vergangen.

Eine Klage von Idealo aus dem Jahr 2019 vor dem Landgericht Berlin wurde bis jetzt nicht verhandelt.

Dann hätten wir 25 Jahre auf die Kompensation des von Google rechtswidrig verursachten Schaden gewartet. Selbst für mich als Juristen ist es nicht leicht, dahinter einen funktionierenden Rechtsstaat zu erkennen.“

https://www.welt.de/wirtschaft/article247569642/Google-vs-Idealo-Funktionierender-Rechtsstaat-Dieser-Fall-zeigt-wie-Google-die-EU-vorfuehrt.html

Seit sechs Jahren also blockiert Google die Zahlen. Dazu haben Sie das Recht. Das ist ärgerlich, weil sie in den sechs Jahren mit ihrer Praxis weitermachen konnten und weiter damit Geld, wahrscheinlich illegal, verdient haben. Firmen sind dadurch vielleicht pleite gegangen, Arbeitsplätze verloren und was weiss ich noch alles. Dir Firmen leiden, die Daten, die gesammelt wurden, gehen nicht mehr weg und Google arbeitet mit mehr als 1000 Werbefirmen zusammen, einige in China und Russland.

Aber ich muss mich rechtfertigen.

Wir reden so oft, meiner Meinung nach, über das Falsche.