Google’s Wunsch das Internet zu kontrollieren

Das Internet war mal ein freier, dezentraler Raum. Dann kamen die Plattformen und haben das Netz zentralisiert. Und monopolisiert. Doch das Surfen im Internet war immer noch frei, fast schon anarchisch. Linux, Windows, Android, macOS. Firefox, Safari, Edge, Chrome, Vivaldi, Brave, … Wir haben die Wahl mit was wir ins Netz gehen. Diese Wahl, so denkt Google wohl, muss gestoppt werden.

Google hegt den Wunsch, noch mehr Kontrolle im Internet an sich zu reissen. Natürlich nur zu Ihrem Besten, zu Ihrer Sicherheit, Ihrem Schutz. Weil Sie Google wirklich wichtig sind.

Sie verwenden einen Browser! Mit diesem streunen Sie durch das Internet. Sie konfigurieren ihn, machen ihn vielleicht sicherer, laden sich Add-Ons herunter, die das Surfen angenehmer machen oder passen ihn anderweitig an. Das alles liegt in Ihrer Hand. Trotzdem können Sie damit im Internet surfen.

Vielleicht haben Sie im Laufe Ihres Lebens den Browser schon mal gewechselt, von Internet Explorer auf Edge und dann auf Firefox, oder andere Wege beschritten. Sie haben vielleicht vom iPhone zu Android oder umgekehrt gewechselt und damit auch den Browser. Die Seiten haben fast immer alle funktioniert, vielleicht sah ein Font hier und da anders aus oder eine Werbeanzeige war kleiner oder grösser. Aber das machte nichts, die Funktionalität war da. Jeder Browser hat funktioniert. Sie haben und hatten die freie Wahl. Auch, ob der Browser auf Linux, macOS oder Windows lief, auf Android oder iOS war egal, es hat alles funktioniert.

Google nervt das. Sie wollen das nicht. Wo kämen wir denn dahin, wenn mehr und mehr Menschen nicht Chrome verwenden, Werbung blockieren, sich frei entscheiden können.

Daher hat Google nachgedacht und dann ein Papier veröffentlicht, das beschreibt, wie der Anbieter von Seiten (Webserver) sicherstellen kann, dass Sie den richtigen Browser auf dem richtigen Betriebssystem verwenden.

An API used to integrity check the environment a web page runs on. This check is performed by trusted attesters.

https://rupertbenwiser.github.io/Web-Environment-Integrity/

Natürlich soll dadurch nur sichergestellt werden, dass Sie das richtige Tool verwenden, um das „Google“-Internet zu nutzen. Bevor Sie das Dokument gelesen oder Diskussionen dazu in den Medien gehört haben, hat Goole es auch schon in Google Chrome eingebaut.

Wie funktioniert das?

Beispiel: Sie surfen eine Webseite an. Der Anbieter dieser Webseite, also der Webserver holt sich Ihre Daten (wie Browser, Auflösung des Displays etc.) und fragt einen anderen Anbieter (trusted attester), ob dieser Browser akzeptabel ist. Verwenden Sie einen Browser auf einem Betriebssystem, den die Webseite akzeptiert? Willkommen! Sie haben einen AdBlocker installiert? Werden Sie vielleicht abgelehnt.

Bisher hat sich das Internet dadurch ausgezeichnet, dass man mit einer Vielzahl von Geräten, Betriebssystemen, Browsern, die bestimmten Standards folgen, eine Vielzahl von Seiten besuchen kann, die durch Hyperlinks (kurz: Links) in Verbindung stehen.

Jedes Auto jeden Herstellers kann auf jeder Straße fahren. Das galt bisher auch im Internet. Doch Google will das ändern. Auf Autobahnen nur noch BMWs und Mercedes‘, auf Landstraßen lassen wir auch Audi und Ford zu. In der Stadt alle.

Google will verhindern, dass der Browser Ihnen gehört, Sie ihn so nutzen können, wie Sie wollen. Sie haben die Hoheit über die Software. Das will Google abschaffen. Und zwar so:

Bevor ein Server eine Webseite ausliefert, kann er einen „Überprüfungsdienst“ eines Drittanbieters bitten, sicherzustellen, dass die Browserumgebung des Benutzers nicht „manipuliert“ wurde. Eine Übersetzung der Terminologie der Richtlinie hilft uns hier weiter: Dieser Google-eigene Server wird gebeten werden, sicherzustellen, dass der Browser in keiner Weise von der von Google akzeptierten Browser-Betriebssystem-Kombination abweicht, was eine sinnvolle Nutzung der vier Freiheiten ausschließt. Es ist nicht weit hergeholt, sich eine Zukunft vorzustellen, in der Websites sich einfach weigern, Nutzern mit freien Browsern oder freien Betriebssystemen Seiten anzubieten.

https://digitalcourage.de/blog/2023/google-web-environment-integrity

Die vier Freiheiten, falls Sie sie nicht kennen, sind:

  • Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck (Freiheit 0).
  • Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Datenverarbeitungbedürfnissen anzupassen (Freiheit 1). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.
  • Die Freiheit, das Programm zu redistribuieren und damit Mitmenschen zu helfen (Freiheit 2).
  • Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gesellschaft davon profitiert (Freiheit 3). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.

Google wird all seine Marktmacht einsetzen, damit sie davon profitieren. Sie werden den Überprüfungsdienst anbieten und so noch mehr Daten über Sie sammeln. Auch hier muss man kein Genie sein, um sich vorstellen zu können, wie das gehen kann: Machst Du das nicht, kannst Du mit uns nicht mehr werben. Machst Du das nicht, werden Deine Suchergebnisse nicht auf der ersten Seite erscheinen. Uvm.

Das kann dazu führen, dass beispielsweise nur noch ein „Regierungsbrowser“ auf die Regierungswebseiten zugreifen kann. In diesem können Sie dann vielleicht kein uBlock Origin installieren, oder er umgeht den VPN, oder oder oder.

Google Dienste wie Gmail oder Google Maps gehen dann vielleicht nur noch mit dem Chrome Browser. Da viele Apps Webtechnologien benutzen, kann es sogar soweit kommen, dass manche Dienste im Web, die mit einer App angesteuert werden, nicht mehr mit einer anderen, alternativen App, benutzt werden können, sondern nur noch mit der originalen, trackenden App.

Manche Menschen nennen das DRM (Digital Rights Management) für das Internet. Ich weiss noch, wie ich im Urlaub offizielle DVDs gekauft habe und diese zu Hause nicht abspielen konnte, weil mein Regionencode auf dem Abspielgerät auf Europa gesetzt war. Man konnte damals den Code nur ein paar Mal wechseln, dann war es vorbei. Daran fühle ich mich erinnert.

Wenn Sie bei Netflix, Amazon Prime, Disney+, …, dann ein Konto haben, haben diese Anbieter darüber einen Fingerabdruck. Jetzt wechseln Sie das Endgerät und schon funktioniert das Konto nicht mehr. Sie werden dann wahrscheinlich umständlich das neue Gerät oder den neuen Browser neu registrieren müssen. Siehe auch Microsoft, wenn Sie Ihre Windows Lizenz auf ein neues Gerät transferieren wollen. Geht auch nicht einfach so. Damit erhalten die Anbieter Kontrolle über Ihre Software auf Ihren Geräten.

Ein schöner Artikel detailliert das weiter, u.a. mit Kommentaren von einem Mitarbeiter des Vivaldi-Browsers. Eine neue Version oder nur ein zusätzliches Add-On kann dazu führen, das Webseiten Sie ablehnen. Die Seiten lehnen einen neuen, revolutionären Browser vielleicht erstmal ab. Außerdem kann das darin ausarten, dass Google und seine Gefolgschaft nur Chrome zulassen, Apple mit seinen Anhängern nur Safari, Menschenrechtsorganisationen nur Firefox und Ihr Autohersteller nur Edge. Sie müssten ggf. mehrere Browser immer parallel auf all Ihren Plattformen installiert und aktuell halten. Kein Safari auf dem Android Phone, dann geht die Seite oder App einfach nicht. Kaufen Sie sich also besser ein neues Handy.
Microsoft Office 365 ginge vielleicht nur noch mit dem Microsoft Browser, Amazon nur mit dem neuen selbsterstellten Browser, Facebook dann mit dem ebenfalls eigenen Browser, die Zeit-Webseite mit Chrome, die Süddeutsche nur mit Safari. Die Google Services vom Handy aus nur mit Chrome von einem Android Handy. Zu guter Letzt: Diese Browser müssen dann unverändert sein. Keine Add-Ons oder nur die genehmigten. Google bestimmt dann, mit welchem Browser Sie das Internet benutzen dürfen. Usw. usf.

Cory Doctorow (seine Bücher unbedingt lesen) sieht das Selbstbestimmungsrecht gefährdet. Ich stimme dem zu.