Analog kriminell, aber digital willkommen?

Aktualisiert: 8.11.2021. Sie Ende des Blogs, Beispiel 8.

Ich bin ein grosser Fan davon, digitale Themen mit analogen zu vergleichen. Vor allem dann, wenn es um Menschenrechte, Privatsphäre und Überwachung geht.
Manchmal hinken die Vergleiche, sicher. Trotzdem helfen sie meiner Meinung nach, Dinge sichtbar zu machen. Digitales ist oft unsichtbar, ungreifbar, virtuell. Analoges kann ich mir besser vorstellen. Ich bin kein Anwalt, für genaue Fragen und Gesetze wenden Sie sich an den Anwalt Ihres Vertrauens. Es geht auch weniger um „legal oder illegal“ sondern eher um das eigene Gefühl. Würden Sie die beschriebenen Fälle analog zulassen? Und wenn nein, wieso lassen Sie es dann digital zu? Denn bei vielen ist das entweder nicht bewusst oder was weiss ich, aber digital ist uns unsere Privatsphäre weniger schützenswert, als analog. Warum? Ich erlebe es immer wieder, und die Medien berichten hin und wieder darüber, wie Menschen geschockt reagieren, wenn Ihnen das bewusst gemacht wird. Was, Alexa speichert alles für immer bei Amazon? Nein, das kann doch nicht sein.

Doch.

Fangen wir an.

Beispiel 1:

Sie haben Fotos mit Ihrer analogen Kamera gemacht, diese selbst entwickelt und in ein Album geklebt. Das geht niemanden etwas an. Das nennt sich „Ihre Privatsphäre“.
Analog: Wenn jemand diese Daten haben will, dann braucht er für Ihr Zuhause einen Durchsuchungsbefehl. Mitnichten darf einfach jemand bei Ihnen einbrechen, die Wohnung durchwühlen und die Fotos suchen und dann mitnehmen. Das ist meiner Kenntnis nach illegal.
Digital: Anstelle die Fotos im Album auf Papier zu haben, speichern Sie sie digital auf Ihrem Rechner. Staatstrojaner und Hacker (interessant, den Staat und Kriminelle in einem Atemzug zu nennen) wollen diese Daten möglicherweise. Während das bei Hackern kriminell ist, wie sieht es bei Staatstrojanern aus?
Die Fotos auf Ihrem Rechner sollen in Zukunft von einer US-amerikanischen Firma nach Kinderpornografie gescannt werden. Im Analogen würde das bedeuten: Sie haben einem Mitarbeiter einer US-amerikanischen Firma den Schlüssel zu Ihrer Wohnungs- und Haustür gegeben. Jedes Mal, wenn Sie in Ihrer Dunkelkammer Ihre Fotos entwickelt haben, weiss dieser das, kommt in Ihre Wohnung und untersucht die Fotos auf illegale Inhalte (analoges hashen ist nicht so einfach). Findet er mehr als 30, dann meldet er das seiner Firma in den USA, die das dann an staatliche Behörden meldet oder nicht. Mit dem Kauf Ihrer Wohnungstür und des Schlosses, die nicht billig waren, haben Sie dem automatisch zugestimmt.
Würden Sie das analog zulassen?

Beispiel 2:

Analog: Sie zeigen die Fotos nur Ihren Freunden. Alles Ihr Bier, Ihre Entscheidung. Sie entscheiden, welche Bilder Sie welchen Freunden zeigen. Die aus der Ferne mit einem starken Zoom fotografierte Schönheit Ihren Freund*innen, die Landschaftsfotos und Katzenfotos Ihren Freund*innen. Ich weiss, Vorurteile. Ich will hier einen Punkt machen. Sie entscheiden, was Sie aus Ihrem Leben wem an Informationen, in diesem Fall Fotos, wann zeigen und sagen. Im Analogen geht das. Oder sprechen Sie über Ihre Chefin im Büro genauso wie zu Hause oder unter Freunden? Zeigen Sie Ihrem besten Freund/Freundin dieselben Fotos wie den Kollegen im Sportverein? Sie haben nichts zu verbergen, aber heisst das, dass Sie immer allen Menschen genau dasselbe sagen, zeigen? Haben Sie keinen Freund/Freundin, der Sie mehr über sich erzählen? Oder über andere? Über Ihre Krankheiten, Eifersucht, Steuererklärung?
Digital: Sie teilen die Fotos mit Ihren Freunden auf Facebook oder Telegram oder WhatsApp oder oder oder. Und schon besteht die Gefahr, dass auch andere sie sehen können. Gesichtserkennung (in Deutschland nicht erlaubt, soweit ich weiss), ob andere die Fotos weiterleiten an ihre Freunde und Bekannte? Sie haben darüber keine oder nur sehr eingeschränkte Kontrolle.

Beispiel 3:

Analog: Sie wollen diese Fotos von Ihrem Rechner hochwertig ausdrucken. Also gehen Sie in einen DM-Markt oder andere, stecken den USB Stick mit den Fotos in das Gerät und erzeugen einen Druckauftrag. Immer mit der Möglichkeit, ein Mensch kann die Bilder sehen. Auch hier entscheiden Sie, was Sie der Öffentlichkeit Preis geben wollen.
Digital: Sie stellen die Daten auf eine Bilderteilen-Plattform. Auch hier können Sie von Ihnen unbekannten Menschen gesehen werden. Aber auch geteilt, modifiziert, etc. Oder ausgewertet. Nach Hintergrund, Stimmung, Ort uvm. Dann werden diese mit anderen Daten über sie aggregiert, verkauft, verfielfältigt uvm.

Beispiel 4:

Analog: Sie nehmen die gedruckten Bilder und senden diese als Postkarte an Freunde und Bekannte. Wiederum Ihre Wahl, was die Briefträger oder die Postmitarbeiter in den Verteilzentren zu sehen bekommen, ausser Ihren Bekannten.
Digital: Sie senden das Foto per Email. Der Unterschied hier ist: Um beim Empfänger anzukommen, muss die E-Mail über mehrere Zwischenrechner geleitet werden. E-Mail ist per Definition unsicher, wie eine Postkarte. Mittlerweile ist der Transport zwar verschlüsselt, danke an Edward Snowden, aber Ihr ausgehender Mailserver (beispielsweise Hotmail oder GMX) kann die Bilder sehen, ebenso der Mailserver des Empfängers. Besser als früher, aber gut? Würden Sie Postkarten mit Bildern oder Informationen versenden, von denen Sie nicht möchten, dass das nicht nur der Empfänger sehen kann? Würden Sie auf der Postkarte Ihre letzten Blutwerte, HIV-Tests, die Steuererklärung, abdrucken? Warum ist das aber digital so gefragt? Keiner meiner Ärzte kann verschlüsselt mailen. Also bestehe ich darauf, alles per Post zu bekommen und nicht als unverschlüsseltes PDF per E-Mail.

Würden Sie das analog so machen?

Beispiel 5:

Analog: Sie nehmen die Bilder und stecken sie in einen Briefumschlag und schicken diesen an einen Freund. Hier greift sofort das Briefgeheimnis, das im Grundgesetz verankert ist. Ohne einen guten Grund, darf niemand Ihren Brief öffnen. Die Post scannt zwar, was wir seit Snowden wissen, Sender und Empfänger auf den Umschlägen, aber niemand darf die Post einfach öffnen. Und wenn das Ihr Nachbar macht, dann können Sie ihn verklagen. Das ist Schutz der Privatsphäre.
Digital: Sie schmeissen die Fotos in eine E-Mail an einen Freund, verschlüsseln diese und senden sie ab. An diesen Inhalt zu kommen ist alles andere als einfach. Ich nehme hier an, dass die E-Mail mit einem guten Algorithmus und entsprechenden Schlüsseln verschlüsselt ist. Selbst wenn Gefahr im Verzuge ist, sind diese E-Mails nicht einsehbar oder nicht in vertretbarer Zeit mit vertretbarem Aufwand. Ich verstehe die Politik und staatlichen Behörden, dass das ein Problem darstellt. Gleiches gilt im Übrigen auch für fast alle Messenger.
Die Lösung der Politik: Entweder alle Verschlüsselung verbieten, wie die deutsche Regierung und die EU das gerne hätten und immer weiter vorantreiben. Das bedeutet, in Zukunft sind nur noch Postkarten erlaubt. Keine versiegelten Briefe. Den Aufschrei der Unternehmen dazu höre ich nicht.
Zweite Lösung: Die Inhalte schon vor dem versenden kennen. Also einen Trojaner auf Ihrem Gerät installieren, der alles scannt bevor es verschlüsselt werden kann. Egal ob E-Mail, Chat oder nur Ihr lokaler Ordner auf Ihrem Rechner. Was ich dazu nicht höre: Was ist mit dem Briefgeheimnis? Welche Hürden gibt es, bevor das erlaubt ist? Braucht es einen Verdacht, einen Richter, der das genehmigt?
Die Pegasus Software wird auch von deutschen Behörden eingesetzt. Unter welchen Bedingungen, welche gesetzlichen Grundlagen erlauben das? Ich verstehe es nicht.

Genauso wenig, dass das nicht nur Behörden, also staatliche Stellen machen (wollen), sondern amerikanische Firmen. Bevor die Daten in der (i)Cloud landen, sollen sie erstmal auf Legalität überprüft werden. Und was kommt dann?

Würden Sie akzeptieren, dass Ihre Post, bevor Sie sie in einen Umschlag stecken, erstmal vom Staat und dann von einem Mitarbeiter einer amerikanischen Firma auf Legalität überprüft wird?

Beispiel 6:

Analog: Gehen wir weg von Fotos und zur freien Rede. Wenn ich in meiner Kneipe am Stammtisch sitze, kann ich sagen was ich will. Ist es illegal, kann mich jeder, der hört, anzeigen. Dann kommt der Staat und es gibt ein Gerichtsverfahren.
Digital: Ja, mit der Anonymität (soweit ist es damit nicht her, wie ein älterer Artikel zeigt, aber dennoch) ist es viel viel einfacher, seinen Trieben ohne jedwede Kontrolle und Menschlichkeit freien Lauf zu lassen. Und das passiert leider immer öfter und zu oft. Doch wieso entscheiden wir dann, dass eine amerikanische Firma darüber entscheidet, was wir in Deutschland sagen dürfen und was nicht? Es gibt viele Grenzfälle. Diese können nicht automatisiert von Amerikanern erkannt werden. Das amerikanische Unternehmen als Anwalt, Staatsanwalt und Richter in einem.

Beispiel 7:

Kommen wir zur ganz normalen Kommunikation.

Analog: Wir schreiben Briefe, Postkarten, telefonieren und sprechen auf der Strasse mit Menschen.
Digital: Wir senden E-Mails, chatten und halten Videokonferenzen ab. Gerade in der Corona-Pandemie sind Videokonferenzen und das Chatten massiv angestiegen. Wir konnten uns nicht persönlich treffen, also haben wir digitale Möglichkeiten genutzt. Die EU wird in den nächsten Wochen einen Gesetzesvorschlag einbringen, der Kommunikationsanbieter (WhatsApp, Threema, Signal, Mailanbieter, …) dazu verpflichten soll, die gesamte Kommunikation auf Kinderpornografie zu überprüfen.

Damit die Firmen das erreichen können, muss die Verschlüsselung gebrochen werden. Eine vertrauliche, Ende-zu-Ende Verschlüsselung ist dann nicht mehr möglich. Damit würde Ihre Kommunikation im digitalen ungeschützt sein. Die privatwirtschaftlichen Anbieter (meist aus dem Ausland) würden zu Handlangern der deutschen Politik.

Im Analogen würde das bedeuten, dass jede Ihrer Kommunikation abgehört wird. Sie sprechen mit Freunden, jemand ist dabei und schreibt mit und der Kassettenrekorder läuft. Sie sprechen mit Ihrem Partner, jemand hört mit (ok, es gibt auch Leute die Alexa und Echo im Schlafzimmer haben, denen ist das vielleicht egal). Permanent würde jemand im Trenchcoat mit Stift und Papier neben Ihnen sitzen. Aber hey, Sie haben nichts zu verbergen, daher immer her mit den Schlapphüten. Ehrlich? Würden Sie das im Analogen zulassen? Selbst wenn Sie nichts zu verbergen haben?

Ich brauche nicht sonderlich viel Fantasie um mir vorzustellen, was Länder wie Ungarn, Polen oder viele andere damit anfangen. Sehr einfach lässt sich so ein System, ist es erstmal auf Ihrem Handy, erweitern. Die lassen wahrscheinlich jetzt schon die Korken knallen. Apple lacht sich einen Ast, weil sie jetzt nicht mehr der Buhmann sind, sondern nur die Gesetze als erste einhalten.

Außerdem sollte man auch nicht vergessen, dass diese Daten auch von Kriminellen abgegriffen werden können. Da meine Philosophie ist, dass alles im Internet irgendwann öffentlich wird, gehe ich davon aus, das dann auch alle privaten Kommunikationen öffentlich werden.

Und wieder vermisse ich den Aufschrei der Unternehmen. Diese verwenden WhatsApp oder Slack. Auch diese Kommunikation wäre dann nicht mehr sicher. Wirtschaftsspionage würde noch einfacher werden.

Der Brief(PDF, 🇬🇧) einiger EU Parlamentarier an die Kommission hält auch noch ein paar schöne Fakten bereit:

  • Eine repräsentative Umfrage in 10 EU Mitgliedsstaaten zeigt, dass 72% der Befragten gegen solche Überwachungen sind und nur 18% das unterstützen
  • Einem Bericht der Kommission zufolge, sind 80% gegen die Überwachung von verschlüsselten Nachrichten. Alles Kinderpornobesitzer, könnte man denken
  • Die Schweizer Bundespolizei sagt (laut Sonntagszeitung vom 14.3.2021, hinter einer Paywall), dass 86 % der automatisch erstellten US-Berichte über angeblich illegale Inhalte in Wirklichkeit kein strafrechtlich relevantes Material enthalten. Das bedeutet, dass jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde zig Menschen unschuldig der Polizei gemeldet werden. Das führt zu Hausdurchsuchungen und vielem Mehr. “Da wird schon was dran sein, wenn die Polizei kommt.” So denken leider sehr viele. Falsche Beschuldigungen können Leben zerstören. Kein Wunder, dass die keine Zeit haben, echte Verbrecher zu suchen
  • Selbst echte positive Treffer führen regelmäßig zur Kriminalisierung von Kindern; so zielen beispielsweise in Deutschland 30 % aller strafrechtlichen Ermittlungen wegen Kinderpornografie auf Minderjährige.

Dass amerikanische Firmen einfach so meine Wohnung durchsuchen können ist analog undenkbar, für die meisten, digital aber völlig in Ordnung? Dass amerikanische Firmen entscheiden, was in Deutschland Recht und Gesetzt ist? Im Analogen undenkbar, im Digitalen völlig in Ordnung? Und dass wir alle im Digitalen vermeintlich Kriminelle sind und die Unschuldsvermutung hier ganz augenscheinlich nicht mehr gilt, ein wesentlicher Faktor eines Rechtsstaates, scheint auch niemanden zu stören. Anlasslose Überwachung aller Bürger ohne Richter, ohne Verdacht, ohne alles.
Das verstehe ich nicht.

Beispiel 8:

Die Union hat einen neuen Vorstoß unternommen, der Stasi ähnlicher zu werden. Und natürlich geht es nur um den Schutz von Kindesmissbrauch.

Nutzer von Messaging-Diensten wie WhatsApp, Signal, Threema oder Telegram sollten daher laut dem Appell aus der Unionsfraktion „beispielsweise nur am Chatgeschehen teilnehmen können“, wenn sie über eine deutsche Mobilfunknummer („+49“) registriert sind.

heise.de

Jedwede Anonymität in der Kommunikation soll abgeschafft werden. Digital ok? Wie wäre es, wenn die Union das analog auch erreichen wollte?

Erstmal: Damit wird jeder Bürger der chattet unter Generalverdacht gestellt. Das hat gravierende Auswirkungen darauf, was Menschen sagen und damit auch was sie denken. Es führt zur Selbstzensur.

Zweitens: Würden wir das im Analogen auch wollen? Jedes Gespräch im Park, im Verein, zu Hause, mit Kollegen, egal wem, würde abgehört, aufgeschrieben, aufgezeichnet. Permanent würde jemand dabei sein und zuhören. Es gäbe keinerlei Privatsphäre mehr. Kein gesagtes Wort wäre mehr privat. Das alles nur, um Kinder vor Kindesmissbrauch zu schützen. Würden Sie das akzeptieren?

Ich nicht! Warum ist es den meisten dann im Digitalen egal? Ich verstehe es nicht.

Zusammenfassung

Sie laufen durch die Stadt. Jemand folgt Ihnen auf Schritt und Tritt. Schreibt auf, wo Sie sind, was Sie sagen, mit wem Sie wie lange reden, was Sie reden. Was Sie kaufen, wo Sie kaufen, bei wem Sie kaufen. Er kommt mit in die Wohnung, hört Ihnen zu, sieht was Sie mit wem Essen, hört beim Sex zu und notiert alles.
Analog? Undenkbar. Klage wegen Stalkings. Hausfriedensbruch oder welche Gesetze auch immer.
Digital? Gerne. Warum nicht? Wird schon nichts passieren. Ich habe ja nichts zu verbergen.
Ich verstehe das nicht!!!