Wir brauchen Werbung für das kostenlose Internet!??

Die lieben Verlage. Kostenlose Artikel sind mittlerweile rar, Paywalls sind überall. Sie haben die Wahl: Lassen Sie sich tracken oder bezahlen Sie für die Artikel. Die Zeitung am Kiosk müssen Sie ja auch bezahlen. Erst wenn Sie der Überwachung zustimmen, können Sie einen sehr kleinen Teil der Texte lesen. Wenn Sie die anderen auch noch lesen wollen, trotz Trackings, müssen Sie bezahlen. Wenn Sie die Preise mit den Zeitungspreisen am Kiosk vergleichen, werden Sie staunen. Das wird ganz schön teuer Online. Dann doch lieber gleich die App holen und ein Abo abschließen. Tracken die Apps Sie, selbst wenn Sie ein Abo haben? Freilich!

Gerne argumentieren die Verlage damit, dass sie die Werbeeinnahmen benötigen und nur damit leben können. Doch schauen wir uns das einfach mal an.

Die Tracking-Free Ads Coalition hat einen schönen Artikel geschrieben, der die Kosten des aktuellen Trackings beschreibt.

While Google’s and Facebook’s global ad revenues have now surpassed 200 billion US$ annually, news publishers’ ad revenues have plummeted dramatically over the last two decades; between 2005 and 2018, news organisations saw their ad revenue fall by 70 percent.

Tracking-Free Ads Coalition
Werbeeinnahmen 1956-2018 in $US, selbe Quelle: Tracking-Free Ads Coalition

Was Sie sehen können ist, dass es, seit es Google und Facebook gibt, mit den Werbeeinnahmen abwärts geht. Das bedeutet auch, dass die Aussagen der Verlage nur schwer glaubwürdig für mich sind. Früher haben die Verlage einen sehr großen Teil der Werbeeinnahmen erhalten, jetzt sind es noch 30%.

Noch eine Zahl dazu, die ich an anderer Stelle auf dem Blog schon genannt habe: Facebook hat in den letzten 10 Jahren die Anzahl der Mitglieder verdreifacht, die Werbeeinnahmen aber knapp vervierzigfacht.

Damit wird guter und glaubwürdiger Journalismus, der immer zwei Quellen angibt, wenn etwas kritisches recherchiert und publiziert wird, immer schwieriger. Neben dem Zeitfaktor fehlen den Verlagen oftmals tatsächlich Einnahmen. Weil sie 70% der Werbeeinnahmen anderen Firmen überlassen.

Ein weiterer Schaden ist, das möglicherweise Google aber sicher Facebook Werbetreibenden anbieten, bestimmte Rassen auszuschließen. Was im Analogen illegal, rassistisch und verwerflich ist, ist digital möglich, wie ProPublica berichtet:

The ubiquitous social network not only allows advertisers to target users by their interests or background, it also gives advertisers the ability to exclude specific groups it calls “Ethnic Affinities.” Ads that exclude people based on race, gender and other sensitive factors are prohibited by federal law in housing and employment.

https://www.propublica.org/article/facebook-lets-advertisers-exclude-users-by-race

Als das bekannt wurde, hat Facebook, wie immer, ein bisschen geweint, geschworen, dass das nie wieder vorkommt, und weitergemacht. Nur unter höheren Sicherheitsanforderungen.

Manche Freunde sagen mir, sie geben ihre Daten ab, weil sie dann bessere Werbung bekommen. Aber stellen Sie sich vor, Sie, als Weisser, leben im Kongo, suchen ein Haus und bekommen keine Werbung dafür. Nur weil Sie ein alter weisser Mann sind. Jetzt können Sie sagen, keine Werbung ist sowieso gut. Trotzdem sollten wir das kritisch beachten. Denn:

Ein weiterer Artikel über Facebook auf ProPublica ist betitelt mit:

Facebook Enabled Advertisers to Reach ‘Jew Haters’

https://www.propublica.org/article/facebook-enabled-advertisers-to-reach-jew-haters

Es ist Werbetreibenden also möglich (gewesen?), gezielt Werbung für rassistische Empfänger zu schalten. Auch das sollte uns nachdenklich stimmen.

Naja, alles nicht so schlimm, denken Sie sich jetzt. Es wird ja nicht so weit gehen, dass Werbetreibende Kinder auswählen, die besonders empfänglich für Nikotin, Alkohol oder Gewichtsverlust sind. Dann haben Sie es nicht verstanden. Facebook macht alles, egal wie unmoralisch oder schädlich für die Gesellschaft, Menschen oder Kinder es ist. Lesen Sie dazu den Guardian.

Wir bezahlen nicht mit Geld, wir bezahlen mit Daten, für Manipulation, Beeinflussung und ein völlig unmoralisches Verhalten reicher Werbefirmen.

Wie diese Konzerne mit uns umgehen. Wie sie Menschen nur noch als Rohstoff ansehen, den sie ausbeuten und deren persönliche Erfahrungen sie sich aneignen können. Die Verachtung für die Menschen, die Skrupellosigkeit und der Wille, sie über den Tisch zu ziehen. Die Verachtung fürs Steuerzahlen und für staatliche Infrastruktur. Und die Verachtung für geltendes Recht. Shoshana Zuboff hat ein Wort dafür gefunden: „Überwachungskapitalismus“.

https://bigbrotherawards.de/2021/was-mich-wirklich-wuetend-macht-google

Mit mehreren Schweinereien, die in der Bankenwelt als Insiderhandel gelten, hat Google den freien Markt der Werbenden unterlaufen. Zu lesen u.a. hier und hier. Im ersten Link werden originale Dokumente von Google zitiert, die Google selber an die texanischen Behörden, fälschlicherweise, gesendet hat. In diesen wird beschrieben, wie Google es mit seinen Algorithmen schafft, seine eigenen Kosten so gering und die Preise für Werbung so hoch wie möglich zu halten und damit den Wettbewerb um die Werbeplätze ausschaltet. Das führt de facto dazu, dass Verlage möglichst wenig abbekommen, Google möglichst viel.

Im zweiten Link finden Sie die Abmachung zwischen Google und Facebook, bei der Google Facebook garantiert, 10% aller Werbeplätze bei den Auktionen der Vergabe der Werbeplätze, zu gewinnen. Im Analogen würde sowas unter das Kartellrecht fallen oder Monopolisierung oder was weiß ich. In der digitalen Welt ist das ok.

Das sind aber immer nur die Spitzen der Eisberge und vieles wird spät, manches wahrscheinlich gar nicht bekannt. Wie es immer so schön heisst: Die Dunkelziffer (der Schweinereien, die diese Firmen treiben) ist hoch.
Tatsache ist: Unsere Verlage haben sich abhängig gemacht, haben falsche Entscheidungen getroffen und wir sollen dafür blechen. Mit Daten, damit die beiden amerikanischen Überwacher noch mehr über Sie wissen, noch mehr Geld verdienen können, noch mehr Geld für Steuervermeidungspraktiken investieren können und Sie weiterhin, wie oben zitiert, skrupellos verachten können. Dazu empfehle ich auch Carol Cadwalladr auf Ted.com.