Digitalisierung und Digitalzwang ändern alles.
Mit der Digitalisierung im Allgemeinen und dem Digitalzwang (Dienstleistungen, die nur noch digital durchführbar sind) im Speziellen, ändern sich viele Dinge. Ich habe den Eindruck, viele Menschen denken nicht darüber nach oder machen sich nicht bewusst, wie stark diese Veränderungen in den nächsten Jahren unser Leben beeinflussen werden. Dabei rede ich noch nicht einmal von Künstlicher Intelligenz, dass noch eine andere Dimension hinzufügt.
Mit der Digitalisierung kommen viele positive Dinge auf uns zu. Bequemere Prozesse, schnellere Prozesse, Echtzeitinformationen, Warnungen uvm.
Als Informatiker bin ich der Letzte, der das nicht unterstützt.
Als Mensch, der Menschenrechte und Datenschutz wichtig findet, mache ich mir Gedanken.
Als Leser von internationalen Medien zum Thema IT finde ich manchmal Dinge, die mir Sorge bereiten.
Hardware oder Software
Früher gab es nur Hardware. Autos, beispielsweise, bestanden aus Blech.
Mit der Digitalisierung hat sich immer mehr Technik im Auto ausgebreitet. Mehr und mehr ist die Software im Auto das oder ein wichtiges Entscheidungskriterium beim Erwerb eines Modells.
Wenn wir an autonomes Fahren denken, dann wird es wichtig werden, was die Nutzer während der Fahrt tun können. Haben sie schnelles Internet? Gibt es, wie beispielsweise bei Flugzeugen, ein Entertainmentsystem? Kann das eigene Handy, Tablet oder Notebook seine Videos an den Fenstern abspielen? Kann der Mitfahrer (es wird keine Fahrer mehr geben) arbeiten?
Früher bestimmte die Hardware den Lebenszyklus eines Gerätes. Heute ist es die Software. Mit dem Ergebnis, dass es immer öfter Geräte gibt, die hardwareseitig noch völlig ok sind, die man aber aus Softwaregründen (kein Sicherheitssupport mehr o.ä.) nicht mehr nutzen kann, oder zumindest nicht mehr nutzen sollte.
Die Digitalisierung macht es möglich.
Digitalisierte Hardware
Mehr und mehr wird jedoch alles Digitalisierte nicht nur digital, sondern zwingt zur Nutzung des Internets, zwingt dazu, ein Konto anzulegen, zwingt dazu eine bestimmte App aus einem der beiden bekannten App-Stores zu nutzen, zwingt dazu, Daten abzugeben oder der Dienst funktioniert nicht.
Das Produkt gehört Ihnen nicht mehr.
Diese Entwicklung wirft Fragen auf:
Was ist, wenn ein Software-Update nicht mehr für Ihr Handy, Ihren Fernseher oder Ihr Auto verteilt wird?
Handys werden meist drei bis fünf Jahre unterstützt. Aber was ist, wenn die Waschmaschine nur mit einer App benutzbar ist und die neue Version der App auf Ihrem Handy nicht mehr läuft? Oder nur auf einer der beiden grossen Plattformen? Was ist, wenn Menschen keine der beiden grossen Anbieter nutzen? Eine zuletzt vorgestellte Zahl des statistischen Bundesamtes besagt, dass in Deutschland 3,4 Millionen Menschen noch nie im Internet waren. Die Hälfte der über 60-jährigen. Dazu kommen Menschen, die nicht im Internet sein wollen, sein können oder zumindest keine Apps von den beiden grossen Anbietern nutzen wollen.
Können diese unter den genannten Bedingungen noch eine Waschmaschine, einen Toaster oder einen Geschirrspüler kaufen? Können sie noch am Leben teilnehmen? Wenn Agenturen Konzerttickets nur noch digital anbieten? Wenn Städte, Gemeinden, Länder und Bund Bahntickets und andere Dienstleistungen wie Wohnungsummeldung, Führerscheinerneuerung uvm. nur noch digital anbieten? Denken wir an die Corona-Warn-App. Der Staat bot sie nur für Menschen mit einem Apple- oder Google-Konto an. Freie Entwickler adaptierten Sie auch für andere Plattformen.
Gerade bei Geräten, die im Normalfall länger laufen, beispielsweise Geschirrrspüler oder Waschmaschinen, kann die Digitalisierung signifikante Auswirkungen haben. Vielleicht will der Nutzer von iOS zu Android wechseln, muss dafür aber ein neues App-Abo abschliessen, bezahlt also teilweise doppelt. Oder der Anbieter bietet die App nur auf einer Plattform an. Der Benutzer ist bei dieser Form von Digitalisierung nicht mehr nur von einem Gerät, dem Geschirrspüler, abhängig, sondern auch vom Handy und der dazugehörigen Plattform und der App.
Das heißt, das gekaufte Gerät gehört Ihnen nicht, denn es ist nutzlos ohne Internet und Software. Oder zumindest stark eingeschränkt. Vielleicht.
Datenschutz
Ein zweiter Punkt dabei ist der Datenschutz. Wenn Ihr Geschirrspüler netzwerkfähig ist und sein muss, wohin gehen die Daten, wann Sie spülen, wie oft und wie lange, mit welchem Programm usw.? Wird darüber überprüft, wieviel Wasser Sie für das Spülen verwenden? Was passiert, wenn Sie diese Netzwerkverbindungen untersagen? Funktioniert das Gerät dann noch? Ich habe vor zehn Jahren ein Gerät gekauft, dass ohne Konto und permanente Verbindung nicht funktioniert. Vor zehn Jahren. Damals war ich noch nicht so datenschutz-sensibilisiert.
Mit dem Klimawandel: Kommt dann irgendwann ein Brief oder eine E-Mail, dass Sie zu oft spülen, falsche Programme nutzen oder oder oder? Werden Sie bestraft, wenn Sie sich nicht daran halten? Oder erhalten Sie vermehrt Werbung für Spültabs?
Google hat die Firma Fitbit gekauft und damit auch alle Daten erhalten. Google sagt, sie nutzen die gekauften Daten nicht zu Marketingzwecken. Bleibt das in Zukunft so? Glauben Sie das? Können wir das beweisen?
Ihre Daten gehören Ihnen sowieso nicht.
Manche Nutzer entscheiden sich bewusst für ein Produkt, weil es datenschutzfreundlicher ist. Wenn Google, Apple, Facebook, Amazon oder Microsoft diesen Anbieter kauft, was gilt dann?
Beispiel: Sie haben eine App für eine Apotheke, mit der Sie alle Medikamente kaufen können. Der App Anbieter ist in Europa und unterliegt der DSGVO. Jetzt kauft Facebook diese Firma. Können wir sicher sein, dass die Daten von Facebook nicht ausgewertet, verkauft und für Werbeeinnahmen verwendet werden? Können wir sicher sein, dass die Daten nicht irgendwann im Internet erscheinen und Sie erpressbar machen?
Software-Abhängigkeit
Ein dritter Aspekt ist, dass die Abhängigkeit von der Software dazu führt, dass der Benutzer „erpressbar“ ist. Das bedeutet, der Anbieter des Produkts kann entscheiden, Updates oder bestimmte Funktionen nicht mehr anzubieten oder zu verlangen, dass Updates oder bestimmte Funktionen ab sofort Geld kosten.
Die Software sagt: Das Gerät gehört Ihnen nicht, weil wir sind der Herr der Software.
Glauben Sie nicht? Können Sie sich nicht vorstellen? Dann lesen Sie weiter.
Beispielsweise hat die Firma Arlo, ein Anbieter von Smarthome-Geräten wie z. B. Kameras, eine neue End-of-Life Regelung eingeführt. Mit dieser Regelung verlieren ältere Kameras die Möglichkeit, den Cloud-Speicher, der für sieben Tage kostenlos ist, zu nutzen. Benutzer haben vielleicht genau deswegen dieses Produkt und keines der Konkurrenz ausgewählt. Nutzer können keinen alternativen Cloud-Speicher nutzen. Arlo bietet diese Möglichkeit nicht an. Des Weiteren verlieren die Kameras das Recht auf Sicherheitsupdates. Aus Sicherheitsgründen bedeutet das, alle vier Jahre, so alt waren die betroffenen Geräte, neue Kameras kaufen zu müssen. Wird es bei der nächsten Kamera wieder vier Jahre Laufzeit geben oder vielleicht nur noch zwei? Wie flexibel sind Sie, andauernd neue Geräte kaufen oder mehr bezahlen zu müssen?
Die Geräte von Arlo gehören Ihnen nicht.
In einem zweiten Fall hat die Firma Ring, die zum Amazon Konzern gehört, angekündigt, dass bei neuen Kameras selbst die grundlegendsten Funktionen extra kosten. Nur bei neuen Kameras? Nein! Auch Besitzer von aktuellen Kameras verlieren bestimmte Funktionen, die bis dato kostenlos waren.
Die Ring-Türklingeln und Kameras gehören Ihnen nicht.
However, as one Reddit user pointed out, there are no guarantees Ring will continue to allow legacy users to have features they paid for. “Based on this type of behavior, I assume they will be boiling us frogs at some point. This is the misdirection stage,” he wrote.“
https://www.theverge.com/2023/3/3/23623523/ring-alarm-camera-features-subscription
Das heißt, die Funktionen, die Sie beim Kauf denken zu erwerben und weswegen Sie vielleicht genau dieses Produkt kaufen, kann Ring Ihnen einfach entziehen. Sie kaufen ggf. ein Produkt, dass gar nicht nutzbar ist, wenn Sie nicht parallel noch Software-Abos dazu kaufen.
Das bedeutet, das Gerät gehört nicht wirklich Ihnen, denn ohne Software oder ohne die von Ihnen gewünschten Funktionen ist es für Sie nutzlos.
Die Software kostet extra. Dieses Extra kann von den Anbietern, wie gesehen, jederzeit verändert werden. Das steht bestimmt in irgendeinem 100-seitigen Dokument, dem Sie beim Kauf zustimmen.
D.h. praktisch: Sie kaufen ein Gerät, aber es gehört nicht wirklich Ihnen.
Im Analogen heißt das: Ihr Autohersteller sorgt dafür, dass Sie nur noch bei Aral tanken dürfen. Hoffentlich haben Sie ein Aral in der Nähe. Ich nicht. Oder moderner: BMW verpflichtet Sie, Ihr e-Auto nur noch mit EnBW Strom zu laden. Niemand würde das akzeptieren. Aber digital? Kein Ding. Oder: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Auto und nach einem Jahr sagt der Hersteller, die Berechnung der Restreichweite Ihres e-Mobils gibt es nur noch gegen 10€/Monat. Oder die Tankanzeige kostet extra. Oder aber das Abschliessen des Autos, dass mit einem digitalen Schlüssel oder einer App geschieht, geht nur noch gegen Aufpreis, oder gegen Daten, oder beides. Oder nach fünf Jahren: Ihr Auto wird von uns nicht mehr unterstützt, es bekommt keine Software-Updates und auch keine Sicherheits-Updates mehr. Dann erinnern wir uns an die Fälle, als Hacker Autos über das Internet übernommen haben. Schon 2015 gab es bei n-tv einen Bericht dazu. Seitdem hat sich wenig verbessert.
Bei Ring, dem System, um Haustüren zu schliessen und zu öffnen, muss man plötzlich bezahlen, um das System zu aktivieren oder zu deaktivieren. Trotz Kauf. Man kauft die Hardware, die nichts nutzt ohne die Software.
Das Auto oder Ring gehören nicht wirklich Ihnen. Denn über die Software können die Anbieter tun und lassen, was sie wollen.
Ein dritter Fall ist Amazon Halo, ein Fitnesstracker. Am 26.4.2023 hat Amazon angekündigt, dass die Unterstützung für dieses Gerät eingestellt wird. Am 31.7.2023 hört die Unterstützung auf. Amazon hat die Käufer aufgefordert, die Geräte zum Recycling einzuschicken. Alle Käufer der letzten 12 Monate bekommen ihr Geld zurück. Haben Sie das Gerät vor 12 Monaten und einem Tag gekauft, Pech gehabt. Wenn Sie das Gerät mit all den Daten in eine Routine eingebaut haben, Zeit investiert haben, das alles aufzubauen, damit es für Sie passt, dumm gelaufen.
Das ist das Problem mit der Cloudabhängigkeit (siehe weiter unten) und der Digitalisierung. Ein Jahr alt und Sie können es wegschmeißen. Nachhaltigkeit und Umweltschutz? Unbekannt.
Das Gerät hat damit nie wirklich Ihnen gehört.
Klima und Mitwelt
All diese End-of-Life Beschränkungen und „plötzliche“ Monetarisierung bei digitalen Geräten haben auch einen negativen Einfluss auf das Klima und die Mitwelt. Handys (und andere Geräte), die nach zwei Jahren weggeworfen werden, meist ohne wirklich guten Grund, beinhalten Seltene Erden und andere Materialien, die es nicht im Überfluss gibt und die unter widrigsten Bedigungen abgebaut werden. Wie soll das bei Waschmaschinen etc. werden?
Im zweiten Teil schauen wir uns Software-Abos und den Einfluß in der Medizin an.